Dietmar Feichtinger

Der Weg ist keine Verbindung

© Mathias Neveling

© Mathias Neveling

 

Gerade jetzt, nach den Attentaten in Paris, die den Westen erschreckt haben, bekommt der Begriff Brückenbauer eine neue Symbolik. Brücken sind etwas Verbindendes, sie sind ein Ort des Aufeinandertreffens (meistens in der Mitte) und ein Ort der Begegnung, Metapher für Kommunikation. Dietmar Feichtinger wird oft als Brückenbauer (obwohl er sich gegen diese Zuschreibung wehrt) bezeichnet, Peter Reischer unterhielt sich mit ihm über den Symbolgehalt dieser Bauwerke und vor allem, über den Steg zum Mont St. Michel in der Region Basse-Normandie, Frankreich.

 

Herr Architekt Feichtinger, hat sich durch die Ereignisse der letzten Wochen, durch die Attentate etwas in Paris, im Leben geändert?

Die Situation in Paris ist von außen gesehen, stärker präsent, als man sie dann tatsächlich in der Stadt fühlt. Ich habe das Gefühl, dass die Menschen ein sehr kurzes Gedächtnis haben und der Alltag schnell wieder überhandnimmt. 

 

Würden Sie von sich auch sagen: „Je suis Charlie?“

Es ist schon viel über die Tatsache, dass es Kartoonisten gibt, die alles in den Dreck ziehen, geredet worden. Als Solidarität zur Meinungsfreiheit, zu einer kritikfähigen Positionierung - stimme ich zu. Karikatur ist ein Mittel, um bewusst Grenzen zu überschreiten.

 

Ich weiß, dass Sie nicht als Architekt der Brücken baut, gelten wollen, das sind Sie auch bei Gott nicht. Jedoch stehen die Brücken in Ihrem Werk an einer nicht unbedeutenden Stelle. Kommt nicht jetzt die Symbolik der Brücke, als verbindendes Element noch stärker zum Vorschein?

Das kann man, wenn man will so sehen. Aber beim Zugangsbauwerk zum Mont St. Michel finde ich den Ausdruck ‚verbindendes Element‘ unangebracht.

 

Wie würden Sie es bezeichnen?

Auf französisch habe ich immer versucht, das Bauwerk als ‚jetée‘ zu bezeichnen, als Steg. Auch das Wort Verbindung gefällt mir dafür nicht so gut. Beim Projekt sind wir davon ausgegangen, uns in der Idee an diese Stege, die ins offene Meer hinausführen, anzunähern. 

Eine Zugbrücke, die einen Zugang zu einem Schloss schafft - genau diesen Effekt wollte ich vermeiden. Ich wollte keine direkte Verbindung zu dem Klosterberg herstellen. Ich wollte einen Weg schaffen, mich in diesen Weg einfügen. Wenn man zu Fuß, durch das Watt zum Berg geht - das machen leider viel zu wenige - ist der Eindruck überwältigend. Es ist die Weite dieser Landschaft, der Gezeitenunterschied der innerhalb kürzester Zeit alles verändern kann - das sind die Aspekte, die mich am meisten an diesem Ort fasziniert haben. Der Weg soll nicht etwas sein, das direkt zum Berg führt, er ist eher eine Annäherung. Wenn man sich die Kurve, die ich gezeichnet habe, genauer ansieht, erkennt man, dass sie den Berg quasi verfehlt, sie tangiert den Felsen nur.

 

Würden Sie den Zugang denn als ein meditatives Erlebnis sehen?

Auf jeden Fall, das ist die Essenz. Ursprünglich war es ein Pilgerweg, er ist es auch für viele heute noch. Wenn man sich dem Berg annähert, die Zeit spürt, sich als Teil des Ganzen und der Landschaft fühlen und dann loslassen kann, findet man wieder mehr Sinn und Kohärenz für den Besuch.

 

Der Zugang hört ja ein Stück vor dem Berg auf. Das heißt, ein Stück des Weges wird immer wieder überflutet?

Ja, ungefähr 70 Tage im Jahr ist der Berg für eine kurze Zeit wieder eine Insel.

 

Hat das eine Bedeutung?

Ja, weil das Zurückgewinnen des Berges als Insel der übergeordnete Ausdruck des Projektes ist. Die Salzwiesen, die in sehr seichtem Wasser entstehen, sind dem Berg schon so nahe gerückt, dass man sich ausrechnen konnte, wann er nicht mehr eine Insel sein würde. Es gab eine Dringlichkeit!

 

Der Berg wird ja auch als heiliger Berg bezeichnet und etwas Heiliges, soll ja gar nicht so direkt mit der säkulären Welt verbunden sein. Ihre Idee, den Zugang nur näherungsweise zu gestalten, keine direkte Verbindung herzustellen, hat ja auch etwas mit dem Entrücktsein, mit dem ‚etwas nicht haben können‘ zu tun.

Ja, das hat schon etwas damit zu tun. Vor 1300 Jahren hat man ja begonnen, das Kloster auf der Spitze des Berges zu erbauen. Die Geschichten, die sich um den Bau ranken, machen die Mystik des Ortes umso spannender.

Das Tollste dort ist die weite Landschaft, die Farben und das Licht. Bevor ich an dem Wettbewerb gearbeitet habe, kannte ich den Ort nur von Fotos. Als ich an einem Dezembertag zum ersten Mal hinkam, war das Licht sehr tief und es war ein unglaublicher Anblick. Es ist eigentlich auch jedes Baustellenfoto schön, weil der Ort Ruhe gibt, Meditation zulässt.

 

Der Steg zum Mont St. Michel ist in der Reihe Ihrer ‚Brückenbauwerke‘ (obwohl Sie den Ausdruck nicht mögen) der sicherlich Reduzierteste, der Einfachste. Ist er auch bescheiden?

Ich würde nicht den Ausdruck Bescheidenheit im Zusammenhang mit dem Bauwerk verwenden. Die offensichtliche Einfachheit, die eine extreme Komplexität beinhaltet, kann ich gelten lassen. 

 

Warum?

Weil das Watt, der Meeresboden bis 30 Meter Tiefe extrem schlecht trägt. Der Teil, der auf Piloten steht, ist 800 Meter lang. Das Bauwerk, das wir geplant haben, muss 38 Tonnen schwere Lastwägen aushalten - der Steg ist ja gleichzeitig eine öffentliche Straße. Machbarkeitsstudien fingen mit Spannweiten von 40 Metern an, gingen bis 80 Meter. Beim Projekt ging es auch um die Transparenz, darum, dass das Wasser so frei wie möglich durchfließen sollte. Ein Steg mit Piloten alle 12 Meter war aus der Sicht der Ingenieure nicht der logische, einfache Weg. Man muss ja daran denken, dass bei Flut rechtzeitig immer alle Bohrgeräte in Sicherheit gebracht werden müssen. Ich wollte jedoch die strukturelle Präsenz eines Brückenbauwerkes vermeiden. Es gibt beim Steg keine Diagonalen, Auskreuzungen, Fachwerkträger und all das, was man so von Brücken kennt. Ein Brückendeck, das über 12 Meter trägt, hat eine ganz andere Dimensionierung als ein Deck, das über 40 oder 80 Meter trägt.

Die Stützen sind in Betonpfeiler, die eben 30 Meter tief gegründet sind, eingespannt. Die Stahlstützen selbst haben einen Durchmesser von 25 cm und eine Wandstärke von 40 - 60 mm. Sie sind auch am Brückendeck eingespannt, um auch Horizontallasten aufnehmen zu können. Das ist natürlich ein konstruktiver Aufwand, man muss an Bremseffekte der Fahrzeuge denken - somit ist die Einfachheit ein hoher technischer Aufwand. Wir haben auch keine (Neopren) Auflager, die man austauschen muss, das Bauwerk ist äußerst robust. Längsausdehnungen werden durch die Elastizität des Steges aufgenommen, indem die Pfeiler ein bisschen nachgeben können. 

 

Die Abschnitte hätten ja auch die Symbolik des Weges zerstört.

Natürlich, er wäre etwas anderes geworden. Kontinuität ist wichtig. Der Belag und die Oberflächengestaltung sind auch in dem Bereich, der auf dem festen Boden steht und dem Bereich auf Piloten, derselbe. Man merkt gar nicht, wenn man wechselt. 

 

Durch die Schlankheit der Konstruktion kommen Sie auch wieder näher an den Begriff der Transparenz, an die Poetik der Stege, die ins Meer hinausführen.

Genau! Ich wollte die Unendlichkeit des Ortes nicht stören, deshalb hat der Bau keine (messbaren) Abschnitte, sondern ist so kleinteilig, dass er als Ganzes wirkt und dadurch ein größtmögliches Verschwinden gewährt.

 

Es gibt ein Foto, auf dem man den Steg von der Wasseroberfläche her sieht. Da wirkt er wie ein Band, das etwas festhalten soll, das suchend ins Meer hinaus, sich bewegt.

Als ich an der Geometrie des Bauwerkes gezeichnet habe, bin ich immer wieder über der Luftaufnahme gesessen. Das Meer zeichnet im Meeresboden sehr starke Muster. Man nimmt immer wieder großzügige Formen und Kurven wahr.

 

Die entstehen durch die Strömungen des Flusses, der in die Bucht einfließt?

Eigentlich sind es vier Flüsse. Und dann kommt aus der Gegenrichtung das Meer dazu. Für mich war die Einfügung der Geometrie in die Landschaft wichtig. Im Gegensatz zur Geometrie des Klosters, die eine sehr monumentale Vertikalität beschreibt. Mit dem Bild des Bandes kann ich mich schon identifizieren, mit dem Band, das etwas loslässt.

 

Der Steg wirkt fast wie lebendig?

Ja, das wird auch sehr stark durch das Wasser unterstützt. Es kommt ja bis 80 cm unter den Steg, und dadurch, dass sich das Wasser bewegt, hat man manchmal den Eindruck, der Steg bewegt sich. Diesen Effekt gibt es tatsächlich.

 

Die Idee beim Zugang zum Berg, nie den Weg in der Blickrichtung auf den Berg im Sichtfeld zu haben, sondern immer das Meer, also das Ziel nie greifbar vor Augen - entspricht ja im spirituellen Sinn dem Pilgergedanken. Wie sehen Sie das?

Diese Beschreibung ist auf jeden Fall richtig, da bin ich Ihrer Meinung. Etwas Wichtiges ist auch - und das haben wir ebenfalls bei anderen Brücken realisiert - die Inszenierung der Landschaft. Man entdeckt beim Begehen immer wieder Neues.

 

 

Der Österreicher Dietmar Feichtinger studierte bis 1988 an der TU Graz Architektur. Nach ersten Erfahrungen bei Prof. Huth, Prof. Giencke und Prof. Klaus Kada wechselte er 1989 nach Paris, wo er 1993 das Büro Dietmar Feichtinger Architectes gründete. 2002 kam die Filiale in Wien hinzu. Seit 1994 lehrt Feichtinger an verschiedenen Universitäten, so der Universität Paris La Villette, der RWTH Aachen, der Universität Innsbruck und der Universität Wien. Er wurde für seine Arbeiten vielfach ausgezeichnet. Zu seinen Werken zählen Wohnbauten, Schulen und Krankenhäuser, die VOEST-Zentrale in Linz und ganz erstaunliche Brücken.

 

William Knaack