Dietmar Feichtinger

GUTE ANTWORTEN AUF DIE FRAGEN DER ZEIT
 

Der Österreicher Dietmar Feichtinger studierte bis 1988 an der TU Graz Architektur. Nach ersten Erfahrungen bei Prof. Huth, Prof. Giencke und Prof. Klaus Kada wechselte er 1989 nach Paris, wo er 1993 das Büro Dietmar Feichtinger Architectes gründete. 2002 kam die Filiale in Wien hinzu. Seit 1994 lehrt Feichtinger an verschiedenen Universitäten, so der Universität Paris La Villette, der RWTH Aachen, der Universität Innsbruck und der Universität Wien. Er wurde für seine Arbeiten vielfach ausgezeichnet.

 

Ein Architekt, der hauptsächlich durch seine Brückenbauten im Interesse der Öffentlichkeit steht, ist eine spannende Persönlichkeit. Peter Reischer unterhielt sich mit Architekt Feichtinger (zwischen Paris und Wien) über Fragen der Architektur in der heutigen Zeit.

 

Wie kommen Sie, als österreichischer, als steirischer Architekt in Paris mit dem Nationalgefühl der Franzosen zurecht?

Das ist überhaupt kein Thema. Es hat mich nie betroffen. 

 

Wo liegt Ihrer Meinung nach, der größte Unterschied in der Architektur zwischen Frankreich und Österreich? Wir haben ja schon von der Ausbildung her verschiedene Systeme.

In Frankreich gibt es ‚Architekturschulen‘ mit einem eher konzeptuellen, künstlerischen Ansatz. Technik wird natürlich auch unterrichtet, aber anders als in Österreich. Hier ist die Technik oft die Hürde, die entscheidet, ob man Architekt werden kann oder nicht. In Frankreich wird der Entwurf, das Kreative, hoch bewertet. Das hat Vor- und Nachteile.

 

Und wie sind die Unterschiede in der Ausführung des Berufs?

Die Architekten sind in technischer Richtung weniger gut ausgebildet und nehmen in Frankreich oft eine rein formale Position ein.

 

Wie sieht es mit der Akzeptanz der Architektur in der Gesellschaft aus?

Das Bauen hat in Frankreich einen hohen Stellenwert, weil es eine öffentliche Sichtbarkeit hat und diese auch verstärkt über die Politik bekommt. Gerade jetzt, in einer Vorwahlzeit zu Kommunalwahlen, kommunizieren Bürgermeister mittels der in ihrer Amtszeit umgesetzten Projekte mit architektonischem Anspruch, der als Mehrwert verstanden wird. 

 

Das ist aber schon ein Unterschied zu Österreich, wo die Politik die Architektur maximal als Image oder Machtsymbol schätzt?

Ja, das ist ein enormer Unterschied. Natürlich haben auch nicht alle Bürgermeister ein Verständnis für zeitgemäße Architektur. Beratende Architekten, die vom Kulturministerium den Kommunen zur Verfügung gestellt werden, leisten wertvolle Aufklärungsarbeit.

 

Halten Sie dieses System, im Vergleich zu den Gestaltungsbeiräten in Österreich, für gut?

Es ist nicht so schlecht. Es hängt natürlich von den handelnden Personen ab. Den Politikern hilft es, architektonische Ansätze besser zu verstehen. 

 

Der größte Teil Ihrer realisierten Bauten sind (neben Brücken) Schulen, Schulzentren und Wohnbau. Sind das die Schwerpunkte Ihres Interesses?

Schulbau interessiert mich sehr. Aber mich interessiert das Bauen an sich und die Vielfalt der Themen. Ich versuche, mich mit neuen Aufgaben auseinanderzusetzen. Das Auswahlsystem der Wettbewerbe führt allerdings zu einer Selbstdarstellung, die eine gewisse Expertise vorgibt. 

 

Bei Betrachtung Ihrer Projekte (siehe Homepage) fällt auf, dass Sie immer wieder Brücken in Ihren Projekten haben. In Anbetracht der Tatsache, dass Brücken sicherlich nicht mehr als sonstige Architektur auf der Welt errichtet werden - sind es überproportional viele. Warum?

Mich interessiert es Orte zu schaffen, an denen sich Menschen wohlfühlen.

 

Was bedeutet ‚wohlfühlen‘ für Sie?

Der Wohlfühlfaktor ist ein Qualitätskriterium. Wodurch kann er erzeugt werden? Zum Beispiel durch natürliches Licht im Raum, durch offene übersichtliche klar strukturierte Räume. 

 

Wo sind diese Kriterien bei einer Brücke zu suchen?

Ich versuche aus einer Brücke einen Ort zu machen. Es geht um mehr als die reine Verbindung.

Menschen werden durch Brücken in eine Situation gebracht, die sie ohne diese Bauwerke nicht erleben könnten. In der Mitte des Flusses biete ich einen öffentlichen Platz an, als Belvedere und zur Begegnung. Die Qualität dieser Situation versuche ich mit dem Bauwerk in seiner spezifischen  Landschaft in Verbindung zu bringen. Mich interessiert, wie man eine Brücke in die Flusslandschaft integrieren kann. Leichtigkeit, Transparenz, Angemessenheit sind Themen, die mich beschäftigen.

 

Brücken und Stege, oder das Auskragende haben offenbar eine gewisse Faszination für Sie. Worauf beruht das? Sie tauchen als (auskragende oder verbindende) Elemente immer wieder in Ihren Werken auf. Als Beispiele nenne ich das Klinikum am Wörthersee oder das  Bilger-Breustedt Schulzentrum. 

Interessant, dass Sie das so sehen. Es ist immer schwierig, über die eigenen Motivationen zu sprechen. Es wird von der Stadt Paris gerade ein Film über eines meiner Gebäude gedreht. Ich denke, der Film ist im Vergleich zur Fotografie das geeignetere Medium, das den Raum, Raumfolgen, Ausblicke wiedergeben kann. Beim Film kommt das Durchschreiten und damit das Verbindende zum Ausdruck. Bei Schulen interessiert mich die Aufenthaltsqualität der Gänge, in welchen sich die Kinder außerhalb der Klasse aufhalten.

 

Die Verbindung ist ja an und für sich auch ein Ort, abgesehen von den zwei Punkten, die sie verbindet. Verbindung hat auch mit Kommunikation zu tun. Ist das ein wichtiger Aspekt in Ihrer Architektur?

Auf jeden Fall. Es ist ein Miteinander.

 

Sehen Sie in der Architektur eine Metapher?

Ich frage mich, wann man eigentlich über Architektur sprechen kann. Es gibt Architekturkongresse, auf denen über Wohnbau philosophiert wird - wo ist da die Grenze? Welche Zusammenhänge gibt es zwischen dem Pantheon und einem Wohnbau. Für mich ist Architektur ein sehr abgehobener Begriff, deswegen verwende ich lieber das Wort ‚Bauen‘. Das Konstruktive ist sehr wichtig in meinem Verständnis des Bauens. 

Wenn in einem Wohnbau ein Volumen irgendwo willkürlich herausragt, ein Balkon grün und der andere rot ist, wenn ein Bauwerk bloß als gestikulierende Skulptur verstanden wird, wird das eigentliche Anliegen verfehlt. Wohnbau ist für mich die Struktur einer Stadt.

 

In den verschiedenen Brücken, die Sie bereits realisiert haben, ist - in zeitlicher Abfolge - eine Entwicklung für mich sichtbar. Der Steg zum Mont St. Michel ist sicher der reduzierteste, das (optisch) bescheidenste der Bauwerke. Wenn Sie nun über diese Tatsache reflektieren, was sagen Sie dazu?

Jedes Bauwerk ist ein neues Thema. Der Ort bei St. Michel hat die Antwort herausgefordert. Dieser Ort ist magisch, die Landschaft unendlich weit, sie verändert sich radikal mit den Gezeiten. 

 

Hängt diese Bescheidenheit mit dem Thema der Nachhaltigkeit zusammen?

Das hat nichts mit Bescheidenheit zu tun. Das Diskrete des Bauwerkes hat sehr selbstbewusst mit dem Ort zu tun. Tatsache ist, dass es eigentlich sehr aufwendig ist, alle zwölf Meter Stützen in das Watt zu stellen, um eine sehr flache Bauhöhe des Stegs zu erreichen.

 

Als ein Ort Gottes, ein Ort der Einfachheit und der Kontemplation?

Wenn Sie wollen, können wir das Thema des Sakralen ansprechen. Ich vermeide das Absolute, aber ich bin auf der Suche nach einer Echtheit, nach einer Art von Wahrheit. Im Zusammenhang mit dem Projekt für den Mont St. Michel hat mich das sehr beschäftigt. Einfachheit hat nichts mit Bescheidenheit zu tun.

 

Das Projekt stammt ja aus dem Jahr 2002. Jetzt wird es realisiert. Trotzdem ist es so, dass es den gerade heute stattfindenden Diskussionen über Nachhaltigkeit komplett entspricht - es ist in Form, Farbe und Material stimmig.

Auch wenn Nachhaltigkeit jetzt stark thematisiert wird, hat es diese Ansätze schon immer gegeben. 

 

Was ist für Sie wichtig, bei einer architektonischen Herausforderung, bei einem neuen Projekt? Welche Parameter bestimmen Ihre Architektur, Ihre Entscheidungen?

Es gibt das Ziel alle Randbedingungen zu vereinigen. Ein gutes Projekt gibt auf die vielen Fragen, die sich uns stellen, eine Antwort.

 

Entspricht das einer holistische Auffassung?

Ganzheitliches Denken ist mir wichtig.

 

Ihre Formensprache wirkt eher streng strukturiert, Raster tauchen immer wieder auf, Folgen und Rhythmen von Öffnungen, Systeme. Es ist keine Lust an geschwungenen, überbordenden Formen - wie sie heute sozusagen üblich sind - zu bemerken. Gehen Sie diesen Weg bewusst, vielleicht sogar gegen den Mainstream?

Das ist eine sehr politische Frage.

 

Warum?

Es gibt Zeiterscheinungen. Architektur muss tatsächlich nachhaltig sein. Bauwerke mit einem vordergründig rein formalen Anspruch verlieren bald an Interesse.

Der konstruktive Aspekt des Bauens an sich verlangt eine Logik, eine Rhythmisierung, eine Strukturierung. 

 

Welcher Richtung der Architektur würden Sie sich zuordnen, wo fühlen Sie sich zu Hause?

Ich ordne meine Arbeit nicht selbst ein.

 

Man sagt von Ihnen, dass Sie den Entwurf aus einer konstruktiven wie räumlichen Logik heraus entwickeln. Also eher Kopf statt Bauch?

Das ist möglich, ich reagiere eher aus dem Kopf als aus dem Bauch. Wobei Kopf und Bauch ganz gut miteinander verbunden sind.

 

Wie sehen Sie die Aufgabe der Architektur heute?

Um diese Frage zu beantworten, müssten wir Architektur eindeutiger definieren. Worüber reden wir? Über Museen, Kirchen?

 

Gebaute Räume ...

Ist alles Architektur? Ich versuche eine Unterscheidung zu treffen. In einer Schule ist es mir wichtig, dass Kinder sich wohlfühlen. Schulen bilden die Wahrnehmung der Kinder. Sie sollen lichtdurchflutet sein. Die Gänge sollen breit sein, damit die Kinder spielen können - das ist mir wichtig. 

Ich versuche Antworten auf Themen und Fragen, die sich mir stellen, zu finden.

William Knaack