Victoria Coeln

Lichträume: Chromotope

© Victoria Coeln

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Ein aus Licht gebauter Raum ist per se unsichtbar — und dennoch gestaltbar?

Mehrere übereinander gelegte Lichtschichten evozieren dreidimensionale Farbtiefe, visuelle Situationen, die an die Wahrnehmung feiner Lasuren in der klassischen Ölmalerei erinnern; und dennoch ist mir bei der Konzeption der Chromotope die musikalische Komposition näher als andere künstlerische Ausdrucksformen.In Verbindung mit materiellen Flächen und Objekten wird der Lichtraum, oder vielmehr sein Abbild, sichtbar. Licht als malerisches Mittel gibt mir Bewegungsfreiheit in Zeit und Raum, Lichtfarben “haften” auf jedem “Untergrund” und greifen dabei nicht in seine materielle Beschaffenheit ein.In der Arbeit mit Licht empfinde ich eine große Nähe, ja Vertrautheit zu diesem Medium, und zugleich eine unüberwindbare Distanz, die mir das letzte Begreifen des Phänomens Licht zu versagen scheint.

Feuer, Licht und Vision                                                                                            

Theatrical lighting im urbanen Raum

Die ersten Hominiden der Gattung Mensch waren Jäger und Sammler — und Lighting Designer. Der allererste Griff zum Kienspan war eine visionäre Handlung, die die Evolution der Spezies Mensch entscheidend vorantrieb. Die Feuermacher, diese dritte Berufsgruppe der Steinzeit, verlängerten den Tag, schufen Wärme und ein Gefühl der Sicherheit: Die Nacht war neu gestaltet. Wir sprechen von ersten künstlichen Lichträumen und -quellen vor zirka 790.000 Jahren. Hunderttausende Jahre später verliert das Licht, Feuer und Sonne, seinen mythischen Zauber, Licht auf Knopfdruck wird Realität. Dieses Material des 20. Jahrhunderts ist Basis unserer täglichen Kommunikation und Präzisions-werkzeug für Medizin und Technik. Heute, 100 Jahre nach Einstein, hat es sich endlich herumgesprochen: Wir wissen, was Licht wirklich ist. Doch wissen wir es tatsächlich? Visionäre unseres Millenniums forschen an den elementarsten Bausteinen, mit Lichtteilchen: Photonen. Vielleicht überrascht uns schon bald die Gruppe um den Quantenphysiker Anton Zeilinger mit einem neuen Bild der Wirklichkeit …

Blicken wir noch einmal zurück: Woher kommt plötzlich die Idee, Feuer nutzbar zu machen? Wielange dauert es, bis sich der Homo erectus oder Homo sapiens (darüber ist sich die Wissenschaft noch nicht einig) dazu überwinden kann, tatsächlich hinzugreifen? Findet dieser Quantensprung der Evolution gleichzeitig in mehreren Gruppen von Hominiden statt? (Wie groß sind eigentlich Quanten?) Eines lässt sich mit größter Wahrscheinlichkeit behaupten: Die Feuermacher der ersten Stunde spielen in ihrer Gesellschaft eine besondere Rolle, sie gehören zu den Mutigsten ihrer Zeit. Sie sind die ersten Visionäre. Rund um die kontrollierte Feuerstelle entstehen erste inszenierte Lichträume, ergänzt durch das Licht des Kienspans, der ersten “künstlichen" Lichtquelle. So wie unsere Vorfahren nutzen auch wir diese einfachste und ursprünglichste Form des Lighting Design, der Szenografie. Wir tradieren Lagerfeuerromantik, ja genießen das Zusammensein rund um die offene Feuerstelle, mitten im Informationszeitalter — ohne Angst vor wilden Tieren.Heute gibt es neue Angsträume. Die haben wir uns selbst gebaut. Sie entstehen in jeder noch so kleinen Stadt und müssen oft spätabends durchquert werden. Straßenunterführungen, das Umfeld von Bahnhöfen, Nischen in so manchen Fußgängerpassagen, unwirtliche Gebiete um Industriebauten oder Teile von Parkanlagen sind Beispiele für wichtige Knotenpunkte im urbanen Raum. Stadtplanung und -gestaltung sind gefordert, diese Situationen zu verbessern. Womit können wir den Gefühlen von Unsicherheit und Angst begegnen? Wir haben Spezialisten. Spielerisch, innerhalb von Sekunden, stellen sie jede Gefühlswelt auf den Kopf. Im Theater wird die herrliche, sonnendurchflutete Gasse innerhalb eines Augenblicks zur fahlen, gefährlich bedrückenden Häuserschlucht. Professionelle Lighting Designer wissen um den emotionellen Faktor Licht und wie sie ihn am besten modulieren. In der Szenografie mischen sie altes, tradiertes Wissen mit visionären Ideen und verwenden herkömmliche Technik scheinbar ebenso kreativ und vertraut wie innovative Technologie.Jetzt hat die Stadt diese Meister entdeckt. Was auf der Bühne längst state-of-the-art ist, wird nun auch Realität im urbanen Raum. Theatrical Lighting verbreitet sich immer mehr. Theatrical Lighting bezeichnet den Einsatz von Bühnentechniken in der Beleuchtung von Architektur im öffentlichen Raum: Farbverläufe und -kontraste, Goboprojektion, dynamische Effekte und programmierte Stimmungswechsel … Altvertraute Bühnenprojektoren werden für den Dauereinsatz im Stadtraum umgerüstet, neue Geräte für die aktuellen Anforderungen konstruiert. Zurzeit zeigt sich Theatrical Lighting vor allem punktuell, an prominenten Gebäuden — eine aufregende Alternative zur konventionellen Anstrahlung und fantastische Bereicherung für jede Stadt. Immer mehr Städte entwickeln ihren Masterplan Licht. Darin wurden bis dato vor allem funktionelle Kriterien wie Sicherheit, Energieeffizienz, Nachhaltigkeit und Mobilität berücksichtigt. Heute kommen emotionelle Fragestellungen dazu: Wie und in welchen Bereichen der Stadt können wir mittels öffentlicher Beleuchtung die Stimmung verbessern? Kann Licht im Stadtraum Ähnliches leisten wie im Theater? Wie können wir damit Angsträume eliminieren? Visionäre Verantwortliche in den Städten beginnen zu experimentieren. Es entstehen erste Beispiele malerischer Lichträume an den problematischen Knotenpunkten, an sozialpolitisch wichtigen aber nicht so populären Orten. Ich habe das Glück, diese Pilotprojekte zu begleiten. Ich überblende mein Bild vom heutigen Dickicht der Stadt mit der Landschaft der Steinzeit und stelle mir vor, welche Bedeutung die Lichträume um die Lagerfeuer für unsere Vorfahren hatten. Vielleicht können wir heute, mit den Mitteln unserer Zeit, szenografische Lichträume in die Städte bauen, die für uns ebenso wichtige Aufgaben erfüllen: ruhige Orte des Zusammentreffens, die uns verlangsamen und entspannen!

Visualistin Victoria Coeln über Lichträume, Mathematik und den Stephansdom als Off-Space

Du hast an der Akademie der bildenden Künste studiert – parallel Mathematik. Die Frage liegt nun nahe, wie Du zur Visualisierung gestoßen bist?

Meine Leidenschaft für Farbe und die Liebe zur Mathematik haben mich direkt zur Arbeit mit Licht geführt. Das Aufbauen von Lichträumen erfordert vielschichtiges Denken, das besonders gut in der Mathematik trainiert wird. Lichträume, Chromotope, bilden die Basis meiner Arbeit und natürlich auch meiner Visualisierungen, die ja im Grunde nichts anderes als gespeichertes Licht sind. Auf Einladung von Barbara Wally hatte ich Elfriede Jelineks, Olga Neuwirths und VALIE EXPORTs Farbschatten in speziell für die Begegnung der drei Damen konzipierten Lichträumen fotografiert. Die Serien wurden im ACF New York (Austrian Cultural Forum) in deren Gruppenausstellung gezeigt. Ich hatte das Glück, daraufhin von Christoph Thun-Hohenstein, dem damaligen Leiter des ACF, zu den ersten Visualisierungen – Festival Mostly Operetta – eingeladen zu werden. Dieses Format war für mich sofort extrem spannend und ist es heute immer noch!

 

Die technologischen Möglichkeiten, die heute für Deine Arbeit zur Verfügung stehen, haben sich über die letzten Jahre enorm weiter entwickelt. Du hast die technischen Neuerungen auch weitgehend in Deine Arbeit integriert und die Entwicklungen – wenn nicht integriert – jedenfalls aufmerksam beobachtet. Wie stehst Du diesen gegenüber?

Ich finde es enorm wichtig, zuerst die Vision (im wahrsten Sinne des Wortes) zu entwickeln und erst dann an Technik zu denken, sonst schränkt man sich von vorneherein viel zu sehr ein. Immer wieder stoße ich in der Realisation an technische Grenzen, dann rege ich Techniker dazu an, weiterzuentwickeln bzw. die Technik neu zu denken. So treibe ich durch meine Arbeit technische Entwicklungen immer wieder voran. Manche behaupten, ich treibe die Technik vor mir her…

Die Basis deiner Arbeiten ist das pure Licht. Welche Faszination steckt dahinter?

Alle – ein kleines Beispiel: Licht ist nicht sichtbar, ich forme also Unsichtbares. – Aber auch die materielle Welt ist per se nicht sichtbar. Dann und nur dann, wenn beide unsichtbaren Medien zusammentreffen, entsteht etwas für das menschliche Auge Sichtbares. Oder anders ausgedrückt: Tatsächlich und ausschließlich die Schnittmenge zweier unsichtbarer Elemente wird für das menschliche Auge sichtbar – ist das nicht unglaublich?

Du bist sozusagen eine „Konstante“ des „lied:lab“ und hast bei beiden Festivals mitgewirkt. 2010 wurde zu Hugo Wolf live visualisiert, 2011 drehte sich das Festival um das Liedschaffen Gustav Mahlers. Wie hast Du Dich in Deiner Arbeit den beiden Komponisten angenähert?

Beim Lied nähert man sich nicht nur der Musik sondern auch der Literatur an, denn Text ist ja auch ein wichtiger Teil der Lieder. Nun, letztendlich war es mir dann wichtig, die Musik wie auch die Literatur mit einer eigenen starken Bildsprache zu konfrontieren, denn nur so wird alles gemeinsam ein neues großes spannendes Ganzes.

Hast Du aufgrund Deiner Erfahrungen, die Du im Festival 2010 gesammelt hast, etwas an Deiner Herangehensweise geändert?

Vielleicht nicht direkt an der Herangehensweise – aber jede Erfahrung bringt Weiterentwicklung auf der man beim nächsten Projekt aufbauen kann. Doch vor allem erfordert jedes neue Werk – Musik, Literatur,… – eine andere nicht weniger starke Bildsprache.

Du arbeitest bei der Visualisierung von Gustav Mahler-Liedern mit sogenannten „Chromotopen“, ein von Dir entwickelter und geprägter Ansatz. Was sind „Chromotope“? Wie kam es zu deren Entwicklung? Und warum hast Du diese Art der Visualisierung gerade bei Mahler eingesetzt? Deine Arbeiten zu Hugo Wolf waren zum Teil noch gegenständlicher.

Ja, das stimmt. Chromotope nenne ich grundsätzlich alle meine Lichträume – das Wort setzt sich aus den griechischen Wörtern chromos/Farbe,… und topos/Raum,… zusammen. Die Nähe zu Biotop und Utopia finde ich sympathisch … In den Chromotopen mische und überlagere ich Farben sozusagen antiprismatisch zu unterschiedlichem Weiß und weiteren Farben. Betritt man ein einfaches Chromotop (zusammengesetzt aus Spektralfarben), so erzeugt man einfache farbintensive Schatten. Projiziere ich nun die einzelnen Farben in Schichten auf Fotopapier (durch gemalte Lichtfilter), so entstehen gespeicherte Lichträume: Chromogramme. Aus den Chromogrammen ist ganz bewusst jede Form und sogar die Handschrift in der Malerei der Lichtfilter durch Unscharf stellen des Objektivs herausgenommen, um – absolut abstrakt – ausschließlich Farbe ohne Form wirken zu lassen. Nichts im Bild startet den Intellekt der Rezipientinnen und Rezipienten an, so wird die pure Emotion direkt getroffen. Vielleicht eine anmaßende Forderung…

Vor einigen Jahren hatte ich ziemlich viele Serien von Chromogrammen entwickelt, um vor allem dem Licht näher zu kommen, es besser zu begreifen… Diese Serien hatte ich gescannt und jetzt als Basis für die Mahler-Visualisierung von „Das Lied von der Erde“ verwendet.

Für mich schwebt speziell „Das Lied von der Erde“ zwischen den Welten – zwischen Materialität und Immateriellem, zwischen Leben und Tod. Das wird ganz besonders im letzten Teil offensichtlich. Die Chromogramme bewegen sich ebenfalls zwischen diesen Welten – von mehreren Seiten wurde mir bestätigt, dass das Licht in manchen Chromogrammen an das Licht erinnert, das Menschen in der Nahtoderfahrung erleben.

 


Stills aus “Das Lied von der Erde”, Gustav Mahler Lied Collector’s Edition 

Ich denke, dass dieses Werk von Mahler – im Gegensatz zu den Möricke-Liedern von Hugo Wolf – besonders viel Ruhe und Langsamkeit im Bild verträgt, ja sogar braucht – auch wenn das für Kurzvideos im Internet nicht besonders tauglich ist.

Du arbeitest nun schon sehr lange als Visualistin und bist eigentlich im Klassik- und Theater-Umfeld „groß“ geworden. Die VisualistInnen, mit denen wir im Rahmen des lied:lab gearbeitet haben, sind durchwegs in der Clubkultur verankert. Wie hat sich die Zusammenarbeit gestaltet und könnte man behaupten, dass es aufgrund der unterschiedlichen Hintergründe grundlegende Unterschiede in der Herangehensweise an die Arbeit gibt?

Ich fand die Zusammenarbeit sehr spannend. Alle, egal aus welchem Umfeld, haben sich extrem fundiert mit der Materie auseinandergesetzt, sehr beeindruckend! Weniger Erfahrene tendieren vielleicht eher dazu, zu viel gleichzeitig zu wollen (so wie ich selbst auch immer wieder in der Anfangsphase jedes neuen Projekts). Die mutige aber auch harte Entwicklung zu Reduktion und Intensität – weniger ist mehr – muss immer wieder neu durchgemacht werden.

Du hast kürzlich den Wiener Stephansdom in einen Lichtraum verwandelt und dort auch live visualisiert. Wie bist Du mit diesem Ort umgegangen bzw. war es eine besondere Herausforderung?

Ja, gerade eben ist das Chromotop St. Stephan wieder aktiviert, der Stephansdom als Off-Space für die Erholung der Seele. Mitten in der für viele stressigen Weihnachtszeit bieten wir im Dom Adventmeditationen an. Ab heute (7.12.2011) bis einschließlich Sonntag, 18.12.2011, täglich außer Freitag und Samstag, öffnet der Dom von 20 bis 21 Uhr seine Tore für Licht und zeitgenössische Musik, die von Solistinnen und Solisten improvisiert wird: http://www.victoriacoeln.at/home/vc/adventmeditation-im-stephansdom.htm

 


Victoria Coeln, Chromotope, Stephansdom, 2011 

Der Dom ist wirklich sehr speziell und sehr groß. Ich dachte anfangs, meine künstlerische Kraft würde dafür nie und nimmer reichen… Doch letztendlich ist doch etwas gelungen… Dieser Ort war und ist immer noch eine ganz besondere Herausforderung. Die Überlegungen dazu füllen zumindest noch ein ganzes Interview. Vielleicht wollen wir das im kommenden Mai führen, denn wir setzen die Arbeit am Chromotop St. Stephan fort. Im Mai werden wieder die Farbfolien vor alle Fenster gehängt – Sonnenlicht wird also einbezogen – und Projektion in den Dom gebracht… Diesmal trete ich mit meinen Visualisierungen etwas in den Hintergrund, dafür lade ich als Kuratorin andere Visualistenkolleginnen und -kollegen zur Performance in der „Langen Nacht der Kirchen“ ein.

 

William Knaack