Regina Freimüller Söllinger

Erdberger Lände: Donaukanal@FSA 2009

Erdberger Lände: Donaukanal@FSA 2009

Interview mit Regina Freimüller-Söllingeram 15. Jänner 2012, 16.00 im Parkhotel Hietzing

 

architektur: Frau Architekt, sind Sie ein glücklicher Mensch?

Regina Freimüller- Söllinger: Ja!

 

Warum?

Ich genieße es sehr mit meinem Mann und meinen Kindern zusammen zu sein. Das ist ein sehr starkes, emotional bedingtes Glücklichsein.

 

Wenn Sie nochmals 18 wären, wäre das Architekturstudium wieder Ihre Wahl?

Ich befürchte – Ja! Ich würde aber vielen davon abraten, Architektur zu studiere weil es ein sehr hartes Studium ist und weil man anschließend sehr wenig verdient.

Ich habe zum Beispiel auch an der ETH Diplomprüfungen abgenommen – die finden drei mal im Jahr statt, ein Riesensaal voll mit Architekturstudenten die alle gleichzeitig fertig werden. In der Garage unten stehen die Porsches, alle sind perfekt gedresst (optisch ist das zwar ein großer Unterschied zu Wien) aber ich frage mich: Was tun die dann alle? 

In Wien hört man, dass sie nach dem Diplom Taxi fahren, Modelle bauen und sich irgendwie auch in architekturfernen Berufen über Wasser halten. Auch in der Schweiz haben sie - trotz Porsche - nicht viel größere Chancen. Das Problem liegt darin, dass wir als Architekten lernen müssen uns beruflich in einem etwas weiteren Sinn aufzustellen: Lehre, Forschung, Journalismus, Arbeiten für Großkonzerne, Immobilienwirtschaft, Banken das sind alle Bereiche wo ein Architekt auch tätig sein kann.

 

Sind die Bereiche, die Sie da aufzählen für Sie mit Ihrem Bild des Architekten kompatibel?

Wenn ich mich mit Studenten unterhalte – die reden und denken immer nur an das Architekturbüro, die klassische Sicht des Architektenberufes eben. Für die ist es quasi verpönt oder ein No-go, an eine Beschäftigung in einer Bank zu denken.

Das Problem liegt sowohl an der Ausbildung als auch an den Menschen. Die Ausbildung ist viel zu beschränkt und die Menschen sind unflexibel und haben verlernt zu denken.

 

Ein bekannter Kollege (Greg Lynn) von Ihnen hat gesagt, dass Zeit, Raum und Bewegung immer auch philosophische Fragen sind.

Diese Begriffe sind überall anwendbar. Gerade in der Architektur, aber auch in der Kunst sind das eigentlich DIE Fragen.

 

Wenn Sie sich die Projekte auf Ihrer Homepage anschauen - wo würden Sie bei diesen Architekturen die metaphysischen Themen oder Schwerpunkte ansetzen?

Da möchte ich ein bisschen weiter ausholen. Ich sitze immer sozusagen auf zwei Stühlen: Einerseits die theoretische Arbeit, andererseits die Büro(Bau)arbeit. Die beiden zu verbinden ist schwierig. Bei städtebaulichen Projekten ist es einfacher, weil man da viel mehr mit diesen gedanklichen Themen arbeiten kann. Da ist es möglich, auch mit Bedeutungen zu arbeiten. 

 

Sehen Sie sich Ihre Architektur eher als erdverbundener oder als transzendent?

Das Resultat ist erdverbunden und der Weg ist transzendent.

 

Sie haben 2006 ein Projekt:„or udud - Gedenkstätte für den deportierten Nachbarn“ gemacht. Was hat Sie dazu veranlasst?

Ich habe eine sehr enge Verbindung zur jüdischen Community, und es ist mir ein großes Anliegen, diese Themen zu behandeln, mich damit zu beschäftigen. Damals habe ich mir auch die Künstlerin Victoria Coeln als Partnerin genommen. Sie arbeitet mit Licht und Licht ist einmal da und dann wieder nicht da. Und genau darum ging es mir: Ein Projekt zu schaffen, das nicht so aufdringlich ist wie viele jüdische Monumente. Es sollte nicht so penetrant einen Spiegel vors Gesicht halten. Für mich ist etwas wirksamer, wenn man es fünfmal anschauen muss bis man die Bedeutung versteht.

Das Licht bei dem Projekt „or udud“ beleuchtet nun einerseits den Park aber es tut noch viel mehr. Wenn man das sehen will – dann kann man sich darauf einlassen, wenn man es nicht sehen will – geht man einfach vorbei.

 

Zu diesen Ansätzen passt der Ausspruch des englischen Poeten und Malers William Blake sehr gut dazu : „Ein Gedanke füllt die Unendlichkeit.“

Ja, das ist ein sehr schöner Satz.

 

Welchen Stellenwert nimmt die Kunst in der Architektur ein? 

Einen sehr hohen. Ich arbeite auch viel mit Künstlern zusammen. Zum Beispiel mit dem Komponisten und Klangkünstler Karlheinz Essl. Alles was mit Notation, Aufzeichnung und Wiedergabe zu tun hat interessiert mich. Das verschmilzt mit der Architektur.

 

Ist Architektur Kunst?

Es kommt immer darauf an, was man macht. Zum Beispiel mit dem (Filmemacher und Maler) Edgar Honetschläger habe ich ein ‚Kunst am Bau’ Projekt gemacht.

Wenn ich eine Verbindung zwischen Architektur und Kunst herstellen muss sage ich, dass das Dreigestirn Architektur, Kunst und Wirtschaft zusammen gehört. In diesem Spannungsfeld bewegen wir uns andauernd.

 

Philip Johnson, der ja bekannt für seine ungeschminkte Ausdrucksweise aber auch für seine Selbstreflexion war, hat einmal die Architekten als bloße Handlanger der Bauherren bezeichnet. 

Für mich stimmt das nicht.

 

Wie gehen Sie mit dieser ständigen Einflussnahme, mit dem Druck der Bauherrn um?

Das ist ein ständiger Kampf der auch viel Energie kostet. Man muss den Auftraggebern  immer in deren eigenen Worten erklären, worum es eigentlich geht. Bei Künstlern gibt es diese Kommunikationshürden nicht, da ist eine andere Ebene vorhanden. Mit dem Bauherrn muss man ganz anders sprechen. Mich interessiert diese kommunikative Verbindung sehr. Ich stelle mich oft als eine Art Mediator zur Verfügung, als Mittler zwischen rein rechnerischen und ästhetischen Argumenten. Das funktioniert zwar nicht immer aber immer öfter. Manchmal ist es nur ein bestimmtes Wort, das ich verwende – und das Verständnis, die Übereinkunft ist gegeben. Dann gibt’s auch keine Dikussionen mehr um das Geld.

 

Welche Architekten würden Sie als Ihre Vorbilder bezeichnen?

Während meines Studiums war das der Jean Nouvel. Damals war er noch nicht wirklich bekannt und mir ist eben aufgefallen, dass jedes Bauwerk von ihm anders war. Keine Wiederholungsmasche, alles war auf die spezifische Situation abgestimmt, Details waren vorhanden und durchgearbeitet, ich hatte das Gefühl des Eingehens auf die Situation, auf den Ort, die Aufgabe. Heute gibt’s diese Detailqualität nicht mehr. Man hat das Gefühl „da ist eine Wirtschaftsmaschine darübergefahren“.

Während meines Studiums war ich viel in Amerika, da haben mich die Bauten von Johnson, Wright und Kahn fasziniert. Ich war auch in Brasilien, da hat mich das Monumentale, das Skulpturale von Niemayer begeistert. Ebenso das, was er aus Stahlbeton macht, wie er ihn formt - fast wie Keramik.

Während ich mit meiner Familie in der Schweiz gewohnt und gearbeitet habe war ich viel mit Daniel Liebeskind unterwegs, ich habe zum Beispiel auch eine Zeit lang in einem Bau von Gigon/Guyer gewohnt. 

Aber irgendwann hat mich die Bilderflut der Architekturproduktionen so bedrückt, dass ich unter Anderem angefangen habe nur noch reine Textbücher (ohne Bilder) zu lesen. Ich habe mich sozusagen dem Bildkonsum verweigert. Denn diese Bilderflut verhindert auch ein eigenständiges Entwerfen.

                                                                                                                                    

Was sind heute Ihre Vorbilder?

Es gibt in Wien einige Architekten, die ich sehr schätze. Krischanitz zum Beispiel.

 

Trotz seiner unbequemen Stühle im Radio Kulturkaffee?

Das ist eine typische Wiener Diskussion. Da kann ich nur lachen darüber.

Aber das ist das, was eben die Menschen in Wien beschäftigt.

 

Wenn heute Architekten bauen, und zwar die sogenannten „Stararchitekten“ – dann hat man den Eindruck, es geht eigentlich nur noch um das Bild, das Abbild von etwas, das dargestellt werden soll um eine möglichst große Medienwirksamkeit zu haben. Wir erleben eigentlich heute eine globale Hype, eine Lawine des Exzentrizismus in der Gestaltung von Bauwerken. Bauten ohne Inhalt, ohne menschliche Bezugspunkte -  reine Extravaganz.

Kann sich ein „kleines“ Architektbüro (wie das Ihre) diesem Sog noch entziehen und trotzdem noch Qualität produzieren?

Mir ist es wichtiger ich bin auf der Baustelle, als einen eigenen Mitarbeiter für Pressearbeit zu haben. Mir ist die Ausarbeitung und die Qualität wichtiger als Medienpräsenz. Obwohl es für das Geschäft wahrscheinlich gut wäre. Ich stelle lieber einen authentischen Bezug zu meiner Arbeit her als einem Schein nachzurennen. 

 

Wie sehen Sie die Stellung oder Aufgabe der Medien in diesem Prozess der Vermarktung, der Hochstilisierung von Abbildern?

Ich bin nirgends in den Medien präsent. Gott sei Dank!

Die Medien forcieren natürlich die Präsenz in der Öffentlichkeit – aber oft ist bei den Kollegen die so groß erscheinen – nichts dahinter. Die Anstrengung zum Beispiel, bei einem Wohnbau eine wirkliche Lebensqualität zu schaffen – das interessiert heute keinen.

 

Heute muss alles möglichst schräg, möglichst dekonstruktiv, möglichst viel Glas und Stahl benützen, möglichst auffallend sein.

Ja, genau! Aber dafür bin ich nicht zu haben!

 

Glauben Sie, dass Architektur die Welt verändern kann?

Ja! Das Lebensumfeld als gebaute Kulturlandschaft.

 

Wollen Sie mit Ihrer Architektur die Welt verändern?

Nein! Nicht die ganze Welt, aber einen kleinen Beitrag will ich schon leisten.

Deswegen interessiert mich ja der Städtebau so.

 

Hat die Architektur eine soziale Aufgabe? 

Ja, auf jeden Fall. Es geht immer um den Menschen. Beim Wohnraum ist das augenscheinlich. Und auch bei der Addition von Einzelwohnraum zu größeren Volumina geht es immer darum, den menschlichen Maßstab beizubehalten. Das ist meine Überzeugung.

 

Wenn Sie mit einer städtebaulichen Studie beauftragt werden, oder an einem Wettbewerb oder Ausschreibung für ein städtebauliches Projekt teilnehmen, welches sind Ihre Beweggründe dafür? 

Es geht dabei um extrem viele, auch sehr vielschichtige Themen. Wie lebt man dort auch in 20, 25 Jahren, wie wird es dort ausschauen? Das hat immer mit Visionen, mit Zukunft zu tun.

 

Wie sehen Sie heute die Prinzipien der Charta von Athen: Die Trennung von Wohnen, Arbeiten, Freizeit und Verkehr?

Diese strikte Trennung funktioniert heute nicht mehr. Wenn WIR (unser Büro) Städtebau machen reden wir zum Beispiel immer von „Wohnen plus“ oder „Arbeiten plus“.

 

Was bedeutet ‚Wohnen plus’’?

Das Kategorisieren oder Anmalen von Flächen mit nur einer Farbe – das ist entsetzlich. „Wohnen plus“kann Wohnen plus Arbeiten sein, oder auch Arbeiten plus Wohnen, das sind Unterschiede. Oder es kann auch die Verwendung anderer Wohnmodelle bedeuten. 

Wir haben eine Art Qualitätskriterien festgelegt. Eine Diversität von Aktivitäten, keine Mononutzungen, Identität ist wichtig. Der Mensch muss wissen wo er zu Hause ist. Ressourceneffizienz spielt eine große Rolle.

 

Wie kritisch sind Sie? Bereuen Sie manche Ihrer Architekturen?

Ja, das Stadioncenter. Städtebaulich ist der Ort für das Shoppingcenter falsch und WIEes dort steht – ist auch falsch. Wir waren damals zu einem Art Fassadenwettbewerb eingeladen. Heute würde ich diesen Auftrag nicht mehr annehmen, ja nicht einmal mehr bei dem Wettbewerb mitmachen. 

 

Und was ist Ihnen das Liebste an der Architektur?

Die Beschäftigung mit unterschiedlichsten Themen. Zum Beispiel bei unserem „Superare“-Projekt - das ist der Umbau der Ankerbrotfabrik - arbeiten wir mit den Wiener Sängerknaben, mit dem Konzerthaus und mit der Caritas zusammen. Hier wird versucht, Kinder und Jugendliche die „off track“ sind, die sich in ganz schwierigen Situationen befinden, zurück zu holen. Die bekommen dort eine ganz tolle Musikausbildung, treten dann auf in Performances, bekommen dadurch Anerkennung und auch wieder ein Selbstwertgefühl. So soll ihnen der Wiedereinstieg ins Leben ermöglicht werden. Das ist Architektur auf einer ganz breiten Ebene, das ist toll. Das ist ein durchaus sozialer Ansatz.

 

Ist gute Architektur rational oder irrational?

Ich habe ja in meinem Leben schon viel Zeit im Ausland verbracht, Studium, Lehrtätigkeit, Arbeit. Da kommt doch auch eine andere Ebene, eine andere Sicht durch das Kosmopolitische zum Tragen. Das drückt sich auch in meiner Architekturauffassung aus.

Für mich ist gute Architektur eher das Irrationale. Auf Reisen bleibt man ja auch nicht unbedingt vor einer Super-Neuen-Architektur stehen, sondern oft dort, wo der Bauch, das Gefühl angesprochen wird. Das ist also auch etwas metaphysisches.

 

Wie sichern Sie die Qualität in Ihren Projekten? Nach welchen Kriterien?

Das Emotionale ist Wesentlich. Auch das Nichtperfekte ist wichtig. 

 

Was sagen Ihre Kinder zu Ihrer Architektur?

Die sind begeistert, wenn sie auf der Baustelle einmal im Bagger mitfahren dürfen.

 

 

 

William Knaack