Heinz Tesar

Wer nicht liebt, darf nicht bauen!

© Margherita Spiluttini

© Margherita Spiluttini

Heinz Tesar studierte von 1961 bis 1965 Architektur an der Akademie der bildenden Künste Wien in der Meisterklasse von Prof. Roland Rainer. Nach verschiedenen Auslandsaufenthalten in Hamburg (1959–1961), München (1965–1968) und Amsterdam (1971) eröffnete er 1973 sein eigenes Atelier in Wien. Von 1972 bis 1977 war er Mitglied des Vorstandes der Österreichischen Gesellschaft für Architektur und von 2002 bis 2006 Mitglied des Baukollegiums der Stadt Zürich. Er lehrte an ver­schie­de­nen ame­ri­ka­ni­schen und eu­ro­päi­schen Uni­ver­si­tä­ten, erhielt meh­rere Ar­chi­tek­tur­preise, u. a. ist er der Staatspreisempfänger 2011. 

Peter Reischer besuchte Architekt Tesar in seinem Atelier in Wien und führte folgendes Gespräch:

 

Wie sehr hat Sie Ihr Studium bei Roland Rainer in Ihrer Architekturauffassung geprägt?

Ich habe bei ihm vor allem die intellektuelle, argumentative Ebene sehr geschätzt. Er vertrat die Auffassung: Mit einem Minimum an Aufwand ein Maximum an Wirkung zu erzielen. Im Bezug auf das Gestalterische, Kreative hatte ich damals andere Vorbilder.

 

Wer zum Beispiel war das?

Das war Corbusier, weil er Architekt, Maler, schreibender Kommentator war. Das eben alles in einer Person.

 

Sind Sie der Ansicht, dass Architektur ein holistischer Begriff ist, oder verstehen Sie die Architektur als spezielle ‚Bauangelegenheit’?

Auf jeden Fall ist Architektur eine Gesamtkunst. Für mich ist das keine reine Gestaltungsdisziplin. Architektur ist die Nichtkunst der Künste.

 

Sie haben in den 70er Jahren gesagt: Wer nicht liebt, darf nicht bauen. 

Stimmt das heute noch? 

Das habe ich damals als sehr junger Mensch gesagt. Das ist noch aufrecht. Mit 14 hatte ich das Glück, dass mich ein Schriftsteller aus Rom 14 Tage lang in die Geheimnisse der etruskischen Gräber, Tarquinia und Cervetta eingeführt hat. Auch Rom und den Vatikan und im Süden Sorrent, Neapel und Capri. Damals hielt ich die Kunst für das Wichtigste, wichtiger als die Architektur. Diese Erlebnisse waren für mich der Grund meiner Entscheidung zur Architektur, in dem Sinn, einen Beitrag leisten zu wollen. Später habe ich dann noch erfahren, dass mein Urgroßvater Stadtbaumeister und Architekt in Salzburg war. Während des Studiums habe ich gemerkt, dass die Architektur das tollste ist, das man machen kann. Weil man wirklich etwas damit bewirken kann. Die Architektur ist die umfassendste der Künste.

 

Sie haben an vielen internationalen Schulen unterrichtet und viel international gebaut. Wie sehen Sie den Einfluss der Globalisierung auf die Architektur? Zitat: Copy – paste? 

Mir geht es um eine differenzierte Auffassung von Architektur. Man sollte nicht an der oberflächlichen Arbeit hängen bleiben. Ich empfinde die internationale Architektur als nicht sehr fundiert, weil sie nicht aus dem Ort entsteht. 

Andererseits bin ich froh über die Globalisierung, ich bin sozusagen froh, dass wir jetzt ‚global’ sind. Es gibt Milliarden von Menschen und Millionen von Architekten auf der Welt. Deswegen ist dieser ganze Starkult, die Begriffe wie die Superarchitekten oder Stararchitekt nicht mehr adäquat. Das kommt eigentlich von der populistischen Vermittlung, von den Medien. Die Welt bleibt trotz Globalisierung eigentlich wie sie war, nur wissen wir mehr darüber.

 

Es stellt sich die Frage nach dem – von Ihnen erwähnten – 'genius loci'?

Es ist meine tiefste Überzeugung, dass der Ort, der Auftraggeber und der Inhalt die Architektur bestimmen. Architektur muss den Ort bereichern, nicht durch Fremdheit, sondern durch Angemessenheit.

 

Sprechen über Architektur – ist das überhaupt möglich? 

Nein, man kann eigentlich nicht darüber sprechen. Die Architektur ist selbst natürlich nonverbal, das ist ihr Hauptkriterium, dass sie etwas vermittelt, ohne etwas zu sagen. 

Man muss aber über Architektur ‚leider’ Sprechen, weil es eben dazu beiträgt, dass die ganzen Inhalte, die es in einer Architektur gibt, transportiert werden. Es ist ein notwendiges Mittel um die Architekturdiskussion nicht auf das Level des ‚bloßen Bauens’ zu bringen. Das Sprechen unterstützt einen Prozess.

 

Sprechen wir über Bilder und Visionen, Abbilder oder über Inhalte? 

Bilder gibt es nur innen. Wenn ich von Bildern spreche, dann von inneren Bildern. Visionen sind spekulativ. Es ist ein Glück, wenn jemandem etwas so gelingt, dass es die Jetztzeit und die Zukunft sein könnte. Die Moderne ist dadurch obsolet geworden, dass sie eine bessere Welt versprochen hat. Und sie kann es nicht einlösen. 

Die Architektur ist Schein oder Abbild. Die Inhalte scheinen durch, sie sind gegeben. Die Architektur ist keine Philosophie, keine Ideologie. Die Architektur macht etwas. Aus der Wirklichkeit und aus der Hoffnung. Das was sie macht ist anschließend ein Faktum. 

 

Was sind Inhalte in der Architektur? 

Die Inhalte sind die konkreten Notwendigkeiten, die sie abzudecken hat. Sensibilität und absolute Erkenntnis der Wirklichkeit gehören in der Architektur zusammen. Man kann sich als Architekt nichts vormachen. Man muss wissen was man tut. Ich muss die Realität klar erkennen. Und dann muss ich in mir eine Hoffnung tragen, dass ich einen Beitrag zur Verbesserung dieser nicht sehr schönen Wirklichkeit leisten kann. 

Es ist ein Faktum, dass wir uns ständig etwas vorlügen. Das ist aber kein Grund zur Dramatisierung zur Ideologisierung. Man muss es nur klar erkennen. 

 

Ist es Ihnen möglich, eine Definition von „guter Architektur“ zu geben? 

Würde ich nicht machen. Ich kann das nicht. Es gibt zwar schon auch ein kollektives Gewissen und Wissen. Daraus ergeben sich schon gewisse Dinge, die man in der Architektur als Regularien bezeichnen könnte.

 

Zum Beispiel? 

Ich bin zutiefst überzeugt, dass die Körperbezogenheit in der Architektur stimmig sein muss.

Das menschliche Maß muss in der Architektur vorhanden sein. Ob jetzt jemand diese Kriterien brechen will – das ist mir völlig egal, das ist der momentane Zeitgeist. Trotzdem gibt es Menschen, die unabhängig von dem ganzen Theater weiter denken.

 

Sehen Sie Wechselwirkungen zwischen Gesellschaft und Architektur?

Ja, selbstverständlich.

 

Warum haben Sie eine Kirche gebaut. 

Erstens um es banal zu sagen – weil ich einen Wettbewerb gewonnen habe. Zweitens war ich sehr erfreut, dass ich zu dem Wettbewerb eingeladen wurde. Und drittens habe ich mir als Kind schon innig gewünscht, einmal eine Kirche zu bauen. Ich habe auch das Glück gehabt, dass meine ersten Aufträge Kirchenrenovierungen waren. So ist mein Wunsch in Erfüllung gegangen.

 

Können Architekten, kann Architektur etwas bewirken, verändern in der Gesellschaft? 

Ich bin überzeugt, dass Architektur sehr verändert und sehr prägt. Ich habe schriftliche Belege von Bauherren, dass ich ihr Leben glücklicher gemacht habe. 

 

Was würden Sie den jungen Architekten der heutigen Zeit empfehlen oder raten? 

Es ist in unserer heutigen Zeit nicht mehr anzuraten, Architektur zu studieren. Es sind Gesetze in das Architekturgeschehen eingeführt worden, die zu stark aus der monetären Ebene abgeleitet oder bestimmt sind. Sie sind auch zu sehr aus der Rechtsebene abgeleitet. Das sind Regularien, die mit einem freien Schaffen nicht mehr konform gehen. Das passt natürlich in keiner Weise mit  „wer nicht liebt, darf nicht bauen“ zusammen oder mit dem Titel des ‚Freischaffenden Architekten’. 

William Knaack