TRANSARQUITETÔNICA

Vom Raum in die Zeit, von der Zeit zum Ort

Erschienen in FM architektur 07/14

© Henrique Oliveira

© Henrique Oliveira

Die Architektur beginnt mit ein paar schwarzen Wurzeln, erstreckt sich über Höhlen bis zu gemauerten Räumen, halb verputzten Gewölben und endet in den rationalistischen Bauten der Jetztzeit - so könnte man auch die architektonische Entwicklung unserer Zivilisation beschreiben.

Die Installation, die der (auch in Österreich durch seine amöbischen Riesenformen im Landeskulturzentrum Ursulinenhof, Linz, bekannte) 1973, in Ourinhos, Brasilien geborene Künstler Henrique Oliveira im Zubau des ‚Museum of Contemporary Art‘ der Universität in São Paulo errichtet hat, nimmt sowohl Bezug auf den von Oscar Niemeyer entworfenen Bau, wie auch auf archetypische Bilder von Urformen der menschlichen Behausung. Der Mensch, der aus dem Bauch der Mutter in die Welt geworfen wird, sehnt sich vom Anbeginn des Seins wieder zurück, in eine schützende Hülle, in die Geborgenheit der ‚Höhle‘. So gesehen kann diese Arbeit auch als eine sehr subtile Kritik an unserem System verstanden werden. Eine Kritik, die die Transformation der Architektur vom ursprünglichen Schutz (shelter) zu nur mehr einem Bild von ‚etwas‘ bemängelt. Der eigentlich aus der Malerei kommende Henrique, arbeitet seit den Anfängen dieses Jahrtausends an der Transformation der flächigen Malerei in das dreidimensionale, in die Skulptur, in die Architektur und den Raum. Bei seinem Projekt TRANSARQUITETÔNICA besetzt der brasilianische Künstler den weiten Raum der Galerie im Niemeyer-Bau mit seiner bisher größten, in einen Innenraum eingeschriebenen Plastik - oder ist es bereits wieder Architektur? Dazu verwendete er Materialien aus den Manufakturen seiner Heimatstadt - Metall und Unmengen von Furnieren und Sperrholz. Aus Stahlstäben baute er zuerst die röhrenförmigen Grundstrukturen. Anschließend wurden sie mit den Holzteilen, innen und außen verkleidet. Er schuf so eine Reihe von sehr massiv wirkenden hölzernen Schlangen oder Wurzeln oder einfach Räumen, die sich durch die Galerie des Museums winden. Sie können von den Besuchern betreten und im Inneren erforscht werden. Dabei werden mehrere Sinne angesprochen - Geruch, Hören, Tasten, Fühlen und Sehen. Je weiter man sich in das Labyrinth der sich verengenden Röhren begibt, desto mehr werden Assoziationen zum Mutterleib spürbar. Die Installation ist eine nachdenkliche Arbeit und mäandert zwischen den niemeyerschen Säulen hindurch, als ob sie Hindernissen ausweichen müsste. Wenn man die Arbeit von der erhöhten Zwischenebene aus betrachtet, scheint die Intervention die Architektur wahrzunehmen, sie aber trotzdem zu ignorieren und an ihr vorbeizuziehen. Wenn man sich jedoch tiefer mit den Gedanken und der Entwicklung von Henrique befasst, sieht man, dass das ikonenhafte Gebäude (O. Niemeyers) der modernen Architektur sehr wohl das Projekt von Henrique Oliveira beeinflusst hat: Der Künstler hat keinen neuen Durchgang, keine neue Passage kreiert. TRANSARQUITETÔNICA ist als Ort gedacht, als eine Arbeit, die Architektur, Malerei und Skulptur vereint. Indem man die verschiedenen Räume erkundet und gleichzeitig die Sinneseindrücke wahrnimmt, ist man dazu angehalten, sich über die verschiedenen Transformationen und Aggregatszustände der Architektur Gedanken zu machen. Vom modernistischen Rationalismus - denn das ist das zentrale Merkmal der Architektur Niemeyers - zu den Höhlen, die vor Tausenden von Jahren die Menschheit beschützt und ihnen Zuflucht geboten haben. Die Debatte, ob die Malerei eine Kunst des Raumes sei und die Architektur eine Kunst der Zeit, hat bereits eine lange Tradition. Henrique hat schon mit seinem ersten Gemälde, das er direkt auf eine Wand auftrug, den Schritt aus der Zweidimensionalität gewagt, indem er die Raumgrenzen (Wand der Galerie) benutzt hat. Er hat eine Blockade bei sich selbst aufgelöst und seitdem konstant die Weiterentwicklung von der Malerei zur Skulptur und zur Architektur beschritten. Natürlich ist es schwierig, genaue Grenzen zwischen dem ‚skulpturalen Universum‘ und dem ‚architektonischen Universum‘ des Künstlers zu orten. Die Frage ist aber interessant und hinter all den Grenzen und Einblendungen, die wir wahrnehmen oder auch nur im Kopf haben, gibt es immer das Spiel der Möglichkeiten. Denn im Inneren dieser skulpturalen ‚Architektur‘ ist immer das Bild präsent - das Auge nimmt den dreidimensionalen Raum und transformiert in auf der Netzhaut in ein zweidimensionales Bild, das im Gehirn gespeichert wird: also Trans-Architektur im Sinne von ‚hinüberbringen‘.

TRANSARQUITETÔNICA bringt in der narrativen Dimension des Epos einen Vorschlag, der verschiedene künstlerische Modi in sich zusammenfließen lässt. Das hebt diese Arbeit aus dem üblichen Rahmen der Skulptur oder Objektkunst heraus. 

William Knaack