Tom Lechner

Architekt Tom Lechner, der sich selbst als ein am Land arbeitender Architekt bezeichnet, wurde 2006 durch den Auftrag für den Bau des Österreichhauses der Olympischen Winterspiele in Sestriere schlagartig bekannt. Peter Reischer unterhielt sich mit ihm über Öffentlichkeit, Nachhaltigkeit im ländlichen Raum und die Entwicklung der Gesellschaft.

 

Wie fühlt man sich, wenn man als Architekt auf einmal mit dem Österreichhaus für die Olympischen Spiele beauftragt wird und damit plötzlich in der Öffentlichkeit steht?

Die Situation während und nach der Olympiade habe ich gar nicht richtig wahrgenommen. Da war ich noch in diesem unheimlich kompakten und zeitkomprimierten Prozess verwickelt. Zu Beginn der Arbeit war mir die Verantwortung, ein Repräsentant des Landes in baukultureller Hinsicht zu sein, zwar bewusst, ich wollte nicht in die Klischeefalle des alpinen Architekturbildes, wie es im Tourismus alltäglich ist, tappen. Dann hat mich aber der Zeitdruck - wir hatten nur ein halbes Jahr Zeit für die Organisation und Logistik - einfach überrollt. Da bleibt wenig Zeit zum Reflektieren.

 

War das eine Belastung für Ihre Arbeitsqualität?

Ja! Man wünscht sich mehr Zeit, denn die Planung sehen wir immer als Prozess.

 

Hat das Projekt irgendwelche Auswirkungen auf Ihre zukünftige Arbeit gehabt? Eine gewisse Berühmtheit schadet ja nicht.

Es hat keinen einzigen Direktauftrag daraus gegeben. 

Ich bin hier in Altenmarkt in einer ländlichen Struktur aufgewachsen. Es hat lange gedauert, bis ich hier in der Gegend von den Entscheidungsträgern und der politischen Seite ernst genommen wurde. Mit meinen ersten Projekten habe ich natürlich polarisiert, das ist mir dann auch eher als Provokation unterstellt worden. So gesehen hat mir das Österreichhaus eine gewisse Seriosität in der Öffentlichkeit verliehen. 

 

Eine Autorisierung?

Ja, genau!

 

Gibt es ein Ost-Westgefälle in Österreich im Bezug auf eine ‚grüne‘ Grundhaltung der Auftraggeber? 

Ja. Im Sinne der Ökologie, der Nachhaltigkeit, gibt es das.

 

Wie schaut es im Bundesland Salzburg damit aus?

Von der politischen Seite sind es oft Lippenbekenntnisse und von der Wohnbauseite wird das Thema durch Begriffe wie Energieausweis und Kennzahlen zu stark eingeengt gesehen. Wir sehen die Qualität im Sinne der Nachhaltigkeit gesamtheitlicher. Es ist nicht der U- oder K-Wert eines Bauteiles ausschlaggebend.

 

Nachhaltigkeit ist ja kein Konstrukt aus Kennzahlen, es ist eine Geisteshaltung, eine Bewusstseinsfrage.

Genau; und wenn man auf dieser Ebene diskutiert, wird der politische Rückhalt sehr dünn. 

 

Ist der vorherrschende, aus der Tradition kommende Stil der Architektur im Salzburgerland, der sogenannte ‚Lederhosenstil‘ oder die ‚Jodlerburg‘, eine mentale Belastung für einen Architekten, der etwas ‚Innovatives‘ realisieren will?

Nein, auf keinen Fall. Dieser verbale, oberflächliche ‚Krieg‘ geht an mir vorbei. 

 

Wie schaut es am Land mit der Bereitschaft der Bürgermeister - die ja de facto die Baubehörden sind - einer unkonventionellen, außergewöhnlichen architektonischen Lösung, zuzustimmen, aus?

Mittlerweile - nach 13 Jahren Selbstständigkeit - ist der Bann etwas gebrochen. Ich war mit meinem Büro daran nicht ganz unbeteiligt. Die ersten Projekte konnten wir nur mit Unterstützung von Landeskulturbeiräten durchkämpfen. Diese mussten für die Erstellung von Privatgutachten gewonnen werden, die zwar keine rechtliche Konsequenz bedeuteten, aber mit denen man die Bürgermeister und deren ‚Bausachverständige‘ überzeugen konnte. Parallel dazu haben wir am Land sehr gute Kulturvereine - wie zum Beispiel in Radstadt oder Goldegg -, die Architektur auch in ihren Vereinen zum Thema gemacht haben: Veranstaltungen, Diskussionen, Seminare – eben Bürgerbildung.

Es hat sich dadurch die Situation gebessert, allerdings ist durch diese Offenheit auf einmal alles erlaubt: Flachdachkisten stehen in der Landschaft herum, die Fertigteilhausindustrie ist auch auf diesen Trend aufgesprungen –  man baut modern, kubisch. Da wünsche ich mir schon ein bisschen mehr Reglementierung. 

 

Was sagen Sie zur Tatsache, dass der Bürgermeister am Land die Bauinstanz ist? Er ist normalerweise ein Politiker und hat keine Ahnung von Architektur.

Das ist eine problematische Situation. Ich habe aber mittlerweile Bürgermeister kennengelernt, die sich der Verantwortung bewusst waren, sie aber nicht ausgeübt haben. Sie haben sich wirklich neutrale Fachbeiräte zur Unterstützung geholt.

 

Ist ökologisches Bauen und Nachhaltigkeit für Sie ein wichtiges Thema?

Ja, natürlich. Ich muss verantwortungsvoll etwas schaffen, das einen formalen Trend übersteht. Es muss jahrzehntelang nachhaltig sein. Unsere Entwicklung geht leider in Richtung einer sehr kurzlebigen Bauweise, Kunststofffenster und Vollwärmeschutz sind in keinster Weise für mich nachhaltig. 

 

Begonnen haben Sie mit dem Büro 2000, da war die Welt - quasi - noch in Ordnung. Sie haben ja, vor allem am Anfang, relativ viele Einfamilienhäuser gebaut. Es sind laut Ihrer Homepage an die 20 Stück. Und fast alle stehen mitten in einer Grünfläche, in der Natur. Wie sehen Sie das heute?

Die Situation der Grundstückspreise hat sich in den letzten 10 Jahren am Land extrem geändert. Der ursprünglichste Wunsch einer Jungfamilie nach einem Einfamilienhaus ist heute preislich nicht mehr realisierbar. Das Einfamilienhaus ist heute nicht mehr die Wohnbauform, die die zukünftige Hauptbauaufgabe am Land sein wird.

 

Sie sehen das aus der wirtschaftlichen, finanziellen Sicht. Es gibt viele Architekten, die das Einfamilienhaus heute als ‚No-Go‘ betrachten. Wie stehen Sie aus ökologischer Sicht dazu?

Wenn das Haus aus egoistischen Gründen entsteht, wenn dadurch die Straße, der Kanal, die Infrastruktur erweitert werden muss - dann ist es unverantwortlich. Es gibt aber am Land ‚Baulandsicherungsmodelle‘, in deren Rahmen sehe ich es schon als mögliche Wohnform.

 

Würden Sie einen Bauauftrag, 400 Quadratmeter Wohnfläche mit Swimmingpool, Tiefgarage, Weinkeller und Gästeappartement auf der ‚grünen Wiese‘ ablehnen?

Das ist eine Gewissensfrage, das hängt auch vom Ort ab. Das kann ich so nicht beantworten. Ich würde auf jeden Fall eine Diskussion mit dem Auftraggeber eröffnen.

 

Wie schaut es mit Ethik und Moral in der Architektur aus?

Sehr fragwürdig!

 

Immer wieder redet man über die Ehrlichkeit der Architektur. Ist ehrliche Architektur authentische Architektur? Brauchen wir das Echte, das Ehrliche überhaupt noch? Oder reicht heute schon eine ‚Inszenierung‘?

Für das Kommunizieren der Architektur - ja! Aber nicht für das Empfinden. Es hängt immer vom Anspruch des Bauherrn und auch des Architekten ab, sich von der Inszenierung nicht blenden zu lassen. 

Leider herrscht eine normierte Architekturästhetik vor, da wird sozusagen mit einer Designglasur darübergepinselt, und wenn man dann hinter die Fassade blickt - ist nichts mehr da. 

 

Architektur wird mit Form, Funktion und Bedeutung in Verbindung gebracht. Das ist aber bekanntlich nicht alles, es gibt auch nichtmaterielle, soziale und geistige Aspekte, die neben den rein semantischen existieren. Wo liegt der kulturelle ‚Mehrwert‘ der Architektur?

Der ist verschwunden, und ich habe jetzt schon Mitgefühl mit den kommenden Generationen, weil wir ihnen kein baukulturelles Erbe hinterlassen werden (mit wenigen Ausnahmen). Wir bauen dumm, unintelligent und ohne geistigen Inhalt.

 

Ist Architektur Kunst?

Ja und nein. Es hängt von der Betrachtungsweise ab: Wenn man vom Bauherrn ausgeht, ist es in den seltensten Fällen Kunst, da ein Grundbedürfnis, Raum zu schaffen gestillt werden muss. Es ist aber mehr als eine Dienstleistung aber noch nicht Kunst. Aus der Sicht des Architekten muss immer ein künstlerischer Anspruch mitwirken, sonst ist es eine oberflächliche Abarbeitung von Anforderungen.

 

Woher kommt Ihre Liebe zu Holz, Stein und natürlichen Materialien?

Das habe ich mich selbst auch schon oft gefragt. Ich bin als Junger in die - vermeintlich - weite Welt hinausgegangen, habe ein Jahr in Berlin gearbeitet, dort aber keine Chance zur Verwirklichung gesehen. Die Frage, wer bin ich und wo komme ich her, hat mich zu meiner Verbundenheit mit der Natur geführt. So bin ich zurück in meine Heimat, habe mich hier niedergelassen und angefangen, mich mit meiner Baukultur auseinanderzusetzen. Ich fahre mit unserem Büro jedes Jahr ein bis zwei Tage in das Freilichtmuseum Großgmain und wir wandern durch das Gelände. Die Objekte haben eine Seele, sie sprechen zu uns. Das ist inspirierend.

 

„Zeige mir, wie du baust, und ich zeige dir, wer du bist“ (Christian Morgenstern). Stimmt diese Aussage auf Sie bezogen?

Ja, das stimmt!

 

Wenn man die beiden Begriffe: retrospektives oder zeitgemäßes Bauen gegenüberstellt - wohin tendieren Sie?

Eher zum Retrospektiven. 

 

Wie sehen Sie in diesem Zusammenhang den Dekonstruktivismus?

Da wird eine Grundidee des Bauens - Schutz und Geborgenheit zu erzeugen - für Show, Effekt und Status missbraucht. Es wird so weit auf die Spitze getrieben, dass das Geld alle Argumente auslöscht.

 

Was bedeuten für Sie die medialen Innovationen, die neuen Visualisierungsprogramme und -möglichkeiten in der Architektur?

Diese Werkzeuge können sehr hilfreich aber auch gefährlich sein. Ich bin in meiner Ausbildung noch mit dem Rapidographen und der Rasierklinge aufgewachsen. Bei unseren Praktikanten merke ich den Verlust dieser Fähigkeiten und dieses Wissens ist sehr schmerzhaft. Mit der Abgabe des Bildes an den Computer verliert die Architektur unweigerlich. Wir arbeiten im Büro sehr viel mit Modellen. Da wird der Prozess wieder spürbar und auch sichtbar.

 

Die digitale Revolution hat auch einen Teil der Architektenschaft erfasst. Welche Bedeutung haben Begriffe wie Simulation, Illusion, Vision u.a. für unsere ästhetische Erfahrung, für unsere Sehgewohnheiten? Ändert sich unser ästhetisches Wahrnehmungsvermögen, unsere Empfindung, dadurch?

Ja, es ändert sich. Ich merke das bei mir selber auch. Man wird - speziell bei visualisierten Wettbewerbsbeiträgen - im Unterbewusstsein manipuliert, man bereitet das Bild emotional auf, um es zugänglicher zu machen.

 

Das Einfache ist schwer, womöglich das Schwerste überhaupt. Was sagen Sie zu dieser Aussage?

Das unterstreiche ich hundertprozentig. Das Einfache ist eine Gratwanderung, um nicht in die Banalität zu geraten. Im Einfachen wird die Persönlichkeit des Menschen wieder wertvoll, in der (materiellen) Fülle geht sie unter. 

 

Architektur präsentiert und repräsentiert. Sie steht für einen Typ, eine Qualität, eine Aussage, eine Haltung etc. Wofür steht Ihre Architektur?

Leise, ehrlich, sensibel, meine Architektur steht in keinster Weise für Zeitgeist. Ich will nicht modern bauen.

Wenn meine Häuser in der Qualität verkannt werden, ist das für mich sogar ein Qualitätskriterium. 

 

Tom Lechner, 1970 in Altenmarkt im Pongau geboren, gründete im Jahr 2000, nach seinem Architekturstudium an der TU Graz (1990-1997) und Zwischenstopps in diversen Büros (Salzburg, Berlin), gemeinsam mit Alexander Pedevilla das Atelier „LP architektur“. Pedevilla schied 2002 aus.

Zwischen 2005 und 2009 war Tom Lechner Lektor an der Fachhochschule Kuchl. 2006 dann kommt es zur Gründung von „LP architektur ZT GmbH“. Von 2007-2012 war er Vorstandsmitglied der IG Passivhaus Salzburg. Die Funktion des Präsidenten der ZV – Zentralvereinigung der Architekten Österreichs (Landesgruppe Salzburg) nimmt er seit 2012 ein. Seine Mitgliedschaft in Gestaltungsbeiräten Zell am See, Vöcklabruck und Gmunden hat mit dem Jahr 2013 begonnen.

William Knaack