Klaus K. Loenhart

WIEDER LUFT ZUM ATMEN 

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Der österreichischen Pavillons auf der EXPO Mailand trägt den Titel „BREATHE“. Mit seinem pointierten Beitrag für Luft und Klima setzt er ein sinnlich erlebbares Zeichen im ehemaligen Industrieviertel im Nordwesten der Stadt. Peter Reischer führte mit dem Mastermind des Projektes, mit Prof. Klaus K. Loenhart vom team.breathe.austria ein sehr interessantes Gespräch über Konzeption, Inhalte und auch Hoffnungen, die sich mit dem Projekt verbinden.

 

Herr Professor Loenhart, welche Intentionen hat der österreichische Pavillon auf der EXPO in Mailand?

Die Frage ist, was eine Weltausstellung heutzutage bezweckt? Früher hat man sich die Welt mehr oder weniger ‚nach Hause‘ geholt, die Welt ist im Sinne einer Weltausstellung ‚zu Besuch‘ gekommen. Heute sind wir an den diversen Orten schneller, als wir diese Welt zu uns bringen können. Die Frage nach der physischen Weltausstellung stellt sich eigentlich nicht mehr. Bis auf ein paar authentische ‚Abenteuer‘ erleben wir nur noch editierte Blicke in die Welt.

 

Was will Österreich nun mit diesem Projekt aussagen: kulturelle Identität, gesellschaftliche Perspektiven oder wirtschaftliche Leistungsfähigkeit?

Es soll sicherlich eine Außendarstellung für das Land Österreich sein. Dafür wird eine Realität - und zwar die Bildhafte - benutzt: Österreich ist grün, Österreich bemüht sich, wir zeigen die großartigen Qualitäten im Tourismus und in der Landschaft. 

 

Wie kam es zu dem Thema ‚BREATHE‘? 

Luft ist etwas, das uns im wörtlichen Sinn mit der Welt als Ganzes, verbindet. Luftverschmutzung hat einen atmosphärischen Abdruck, der uns weltumspannend angeht. Nur sind die Aussagen zu diesem Thema und den Begriffen sehr abstrakt. Man könnte jetzt sagen, die Luft ist ein - die Orte und Regionen verbindendes - Medium für das Verständnis dieser Probleme.

 

Ist es der Sinn oder die Aufgabe der Weltausstellung zu sagen, wir verbinden die Welt?

Die Repräsentationen der einzelnen Länder spiegeln nicht die Realität des jeweiligen Landes wider. Sie geben ein Schaubild ab und diese Schaubilder wollten wir hinterfragen und beleuchten.

Es geht um die Vorstellung, den Mikrokosmos mit dem Makrokosmos verbinden, also das Ganze mit dem ICH. Der Pavillon hat sicher eine reflexive, intellektuelle Ebene, aber auch eine ganz persönliche Erlebnisebene. Der Zugang ist über eine Sinnlichkeit gegeben. Wir erlauben uns, das Thema Sinnlichkeit in der Architektur wieder einmal zu thematisieren, und zwar nicht in einer theoretischen oder ästhetischen, sondern in einer erlebbaren Art und Weise.

 

Wie funktioniert das?

Über einen massiven Einsatz von Pflanzenmaterial und dem Aktivieren der, von uns so genannten, ‚Pflanzenperformanz‘. Das ist etwas anderes als ‚Performance‘. Mit Performanz ist die Leistungsfähigkeit eines Stückes Landschaft gemeint. Es ist zwar absolut künstlich, aber seine Wirkkraft hat eine natürliche Performanz.

 

Also stellen Sie mit dem Begriff ‚BREATHE‘ über das Atmen einen globalen Weltzusammenhang, eine Weltdeutung, Weltsicht her?

Im April 2007 wurde der 4. Klimabericht veröffentlicht. Seit diesem Datum ist das Thema Klimawandel auch auf den Titelseiten der Tageszeitungen angekommen. Seit diesem Zeitpunkt - sage ich immer provokativ - haben wir keine Natur mehr auf unserem Planeten, sondern nur noch Landschaft.

Wir befinden uns in einem spannenden Prozess, indem wir uns von einer rein faktischen, nüchternen Beurteilung zu einem Verständnis von Bezüglichkeiten bewegen. 

 

Wie funktioniert der Pavillon, kann man sich das wie ein Biotop vorstellen?

Im Pavillon soll es ungefähr 5 - 7 Grad kühler als in der Umgebung sein. Wenn man das in der Natur verortet, entspricht das einem kreisförmigen, 3 Hektar großen Wald. Der ist in der Mitte um 5 - 7 Grad kühler als am Rand. Wir haben in dieser, auf 560 m2 begrenzten Miniaturlandschaft Ventilatoren, die mit feinen Düsen ausgestattet sind, aufgebaut. Diese Düsen versprühen kleinste Wassertröpfchen. Zusammen mit Bodennebeldüsen entsteht so eine gesättigte Atmosphäre, in der sich das Wasser auf den Blättern absetzt. Hier verdunstet es und über diese Evapo-Transpiration entsteht der Temperaturunterschied.

 

Und das bedeutet ...

... dass wir in unserem Verständnis von Landschaft mit natürlicher Performanz arbeiten und uns nicht der Natur oder Landschaft wie einem heiligen Gral gegenüberstellen. Wir dürfen also diese natürliche Performanz zum Teil unserer Kultur machen. Wir benützen sie und erhöhen sie über eine technische Ergänzung. Auf 560 m2 haben wir 43.200 m2 Blattfläche. Diese Fläche benutzen wir, um den Verdunstungskörper zu aktivieren und zu vergrößern.

 

Gibt es Möglichkeiten, solche Projekte konkret für Stadtplanung, Architektur anzuwenden?

Oder kommen wir da nicht mit dem Profitdenken in Konflikt - ein Wald bringt ja keinen unmittelbaren Gewinn? Ich kann ja - im Gegensatz zu einem Büro- oder Wohnhaus - keine Miete verlangen.

Unsere Gesellschaft ist darauf aufgebaut, alles verdinglichen zu können. Jede, und sei sie noch so wenig greifbar, Qualität kann eine Verdinglichung erfahren und einen monetären Wert zugeordnet bekommen.

In unseren Städten werden wir bis 2020 einen Temperaturanstieg von bis zu 2 Grad erleben. Diese 2 Grad könnten wir mit 10% zusätzlichem Grün kompensieren. Wenn wir aber diesen Platz (im Sinne von ausgedehnten Parks) nicht haben, wäre es eine Möglichkeit, solche oder ähnliche Konzepte zu entwickeln. Hier wird auf engerem Raum eine höhere Performanz als auf einer normalen Grünfläche erzeugt.

In dem Bereich hybrider Gebäude, Natur - Architektur, kann eine Art Innovationslandschaft entstehen. 

 

Ich sehe da ein Defizit in der Wahrnehmungsfähigkeit des Menschen. Er hat kein Gefühl, für die Tatsache eines Temperaturanstieges um 2 oder mehr Grad in den nächsten 10 Jahren. Das ist für ihn nicht messbar, er kann eine langsam herannahende Gefahr nicht wahrnehmen, er verdrängt sie.

Wie kann oder soll unsere Gesellschaft mit diesem Problem, mit diesem Unvermögen umgehen?

Dieser Pavillon kann auf jeden Fall zum Nachdenken anregen und über das sinnliche Erleben eine Vorstellung von Stadt oder städtischer Qualität erzeugen. Stadt und diese Atmosphäre müssen kein Widerspruch mehr sein.

 

Wenn nach dem Ende der EXPO der Pavillon, als einmaliges sinnliches Erlebnis abgebaut wird und verschwindet, war er dann nicht auch nur eine Täuschung, ein Feigenblatt von oder für Politik, Wirtschaft etc.?

Ja, das stimmt! Ich könnte mir allerdings vorstellen und hoffe, dass künftig über dieses Projekt bei den politischen Entscheidern ein Bewusstsein für die Möglichkeiten der Architektur entsteht. Man traut der Architektur immer zu wenig zu. Ich glaube, dass durch das Erleben eines derartigen Projektes - und das werden viele Politiker - in Zukunft eine Änderung bei deren Einstellung gegenüber Wissenschaft, Forschung und Realisierung eintreten wird. Das wird nicht von heute auf morgen passieren, aber mit diesem Projekt öffnet sich eine Tür, denn der Pavillon hat viele verschiedene Ebenen von Wahrheiten.

 

Das Generalthema der EXPO ist ja ‚Feeding the World, Energy for Life‘. In ökologischer Hinsicht finde ich BREATHE sehr wichtig. Luft löst jedoch sicher nicht so bald einen Krieg unter den Nationen aus, der Streit um Wasser aber schon. Wären nicht ganz andere Themen in politischer und wirtschaftlicher Hinsicht viel brisanter, brennender gewesen? Siehe Jean Ziegler?

Es ist wichtig, ein Problem oder Anliegen zu thematisieren. Wir leben in einer Welt, in der vieles gleichzeitig möglich und notwendig wäre - das wird auch auf der EXPO passieren, viele andere Pavillons haben das Thema Nahrung im Fokus. Aber eher unkritisch!

 

Ist die EXPO überhaupt als Rahmen für eine derartige, globale Kritik an unserer wachstumsobsessiven Gesellschaft geeignet? 

Ja und nein! Nein, weil die einzelnen Länder natürlich darauf bedacht sind, sich im besten Licht darzustellen. Und ja, weil für 30 Millionen Besucher das Thema Nahrung und Ressourcen erlebbar gemacht wird. Eine eindeutige, klare Kritik in der Tiefe ist in diesem offiziellen Rahmen sicher nicht erreichbar.

Für mich ist es sehr wichtig, klar zu sehen, wie wir in der sogenannten ‚Moderne‘ gelernt haben, dialektisch zu agieren und zu denken: Kultur - Natur. Corbusier und CIAM - das ist die rationale Architektur in einer weichen wabernden Natur, die eigentlich nur mehr Hintergrund für die Architektur ist. Das ist aber jetzt keine Kritik, sondern eine Feststellung. Der Natur wurde Passivität zugeordnet, wir machen Natur gerade wieder aktiv! Und diese Performanz gewährleistet unseren globalen Metabolismus, sie erhält ihn aufrecht.

 

Der österreichische Pavillon beinhaltet ein 560 m2 großes, künstliches Waldstück mit Vegetation und erzeugt mit seiner gesamten Blattoberfläche bzw. Verdunstungsoberfläche 62,5 kg frischen Sauerstoff pro Stunde – dem Bedarf für 1.800 Personen. Dieser Effekt wird im Pavillon durch Verdunstungskühlung technisch unterstützt. So kann das gefühlte Klima eines dichten Waldes, der auf dem kühlenden Effekt der Evapo-Transpiration der Pflanzen beruht, nachgebaut werden. Das erzielte Ergebnis unterscheidet sich auf unterschiedlichen Sinnesebenen deutlich von der vorgefundenen Luft und dem Klima in Mailand und wird dadurch wahrnehmbar.

Die 100prozentige Waldbepflanzung ist ein modellhafter Beitrag für urbane Handlungsweisen, denn der integrale Einsatz von Landschaft kann urbane Lebensformen mit genügend Sauerstoff und kühlender Luft versorgen.

 

 

Credits:

team.breathe.austria

terrain : architekten und landschaftsarchitekten BDA – Klaus K. Loenhart

(in Kooperation) mit

Agency in Biosphere – Markus Jeschaunig

Hohensinn Architektur ZT GmbH – Karlheinz Boiger

LANDLAB, i_a&l, TU-Graz – Andreas Goritschnig und Bernhard König

Lendlabor Graz – Anna Resch und Lisa Enzenhofer 

und

Alexander Kellas

Engelmann Peters Ingenieure – Stefan Peters

transsolar – Wolfgang Kessling

BOKU Wien IBLB – Bernhard Scharf

William Knaack