Friedrich Kurrent

Ein Teil der österreichischen Architekturgeschichte

 

Die Zentralsparkasse der Gemeinde Wien, Filiale Floridsdorf von Arch. Friedrich Kurrent und Arch. Johannes Spalt errichtet, steht seit vorigem Jahr unter Denkmalschutz. Das ist in der Architekturszene eher ungewöhnlich, üblicherweise werden Architekten erst nach ihrem Tod berühmt und geehrt. Kurrent lebt und erfreut sich bester Gesundheit. architektur sprach mit ihm über seine Pläne.

 

Herr Architekt Kurrent, Ihr mittlerweile berühmter Satz aus Ihrem letzten Buch: “Mehr und mehr komme ich mit weniger und weniger zurecht – die Nullerjahre“ - was wollen Sie damit sagen? Was sind überhaupt die „Nullerjahre“?

Ersteres habe ich einmal in einem Vortrag erwähnt. In der Architektur geht es um die Reduktion, um das Einfache. 

Dem Buch, das zu meinem 80. Geburtstag voriges Jahr erschienen ist, geht ein Buch namens „Einige Häuser, Kirchen und dergleichen“ voraus. Das ist zu meinem 70er erschienen. Jetzt, zehn Jahre später, ist dieses Buch erschienen.

 

Also beziehen sich ‚Die Nullerjahre‘ auf den zehn Jahresabstand?

Nein. Der Begriff bezieht sich auf das 1. Jahrzehnt des jetzigen Jahrtausends: Die sind die Nullerjahre, das nennt man so.

 

Ich habe vermutet, dass sich das auch auf eine geistige Haltung bezieht, vielleicht auf eine gewisse Demut?

Nein, ich kann nur immer mehr und mehr reduzieren. Ich habe auch nichts, ein paar Briefmarken, ein Telefon, kein Fax, kein Email, ich bin nicht erreichbar. Hätte ich ein gut gehendes Architekturbüro, könnte ich mir das nicht leisten. 

Ich leiste mir das aber!

 

Sie waren maßgeblich an der Entwicklung einer modernen Architektur in Österreich beteiligt?

Die moderne Architektur in Österreich, in Wien, ist ja nicht erst Mitte der 60er Jahre entstanden, wie das fälschlicherweise oft behauptet wird. Der Beginn wird meistens mit Hollein (das ‚Retti‘ am Graben usw.) verbunden. Aber es gab schon in den 50er Jahren moderne Architektur: Zum Beispiel unsere arbeitsgruppe 4 (Holzbauer, Spalt, Leitner, Kurrent). Ohne uns und andere hätte die Architektur der 60er Jahre nicht entstehen können.

 

Sie haben sich schon früh mit dem Sakralbau beschäftigt. Sie waren Ordinarius des Lehrstuhls für Entwerfen, Raumgestaltung und Sakralbau an der Technischen Universität in München. 

Am Anfang hat der Lehrstuhl (in Österreich sagt man ja Lehrkanzel, in Deutschland ist es nur ein Stuhl), Lehrstuhl für Entwerfen, Denkmalpflege und Sakralbau geheißen. Das hat auf den damaligen Leiter Josef Wiedemann gepasst. Nach seiner Emeritierung hat man einen Nachfolger gesucht und wollte schon den ‚Sakralbau‘ einsparen. Die katholische Kirche hat aber stark dagegen interveniert, und der damalige Rektor hat mich gefragt, ob ich den Sakralbau des Lehrstuhles übernehmen würde. Ich habe ihm geantwortet: „Ohne Sakralbau, keine Architektur!“, und habe den Auftrag angenommen.

Wir haben damals alle Weltreligionen in Projekten behandelt, Moscheen, Synagogen, Tempel. Das war eine sehr erfolgreiche Lehrtätigkeit. 

 

Warum hat Sie gerade der Sakralbau so fasziniert?

Das sagte ich eben: „Ohne Sakralbau, keine Architektur!“

Wir hatten ja damals schon gebaut: (arbeitsgruppe 4 - Pfarrkirche Parsch, Seelsorgzentrum Steyr-Ennsleiten, Kollegium St. Johann) und wir haben Ausstellungen gemacht über Schulbau, Theaterbau. Und wir haben Artikel geschrieben und im ‚Aufbau‘ veröffentlicht.

 

Was bedeutet Kirche für Sie?  

Mich haben immer die verschiedenen Religionen interessiert. Ich habe auf meinen Reisen viele dieser alten Bauten gesehen und studiert. Das hat jedoch hauptsächlich die monotheistischen Religionen betroffen.

Und mein letztes Projekt ist eine Synagoge für Wien. Der Standort ist der Platz zwischen dem Parlament und dem Palais Epstein, der Schmerlingplatz. Schon Camillo Sitte hat in seiner Kritik der Ringstraße für diesen Platz ein Gelenk vorgeschlagen und empfohlen. 

 

Warum eine Synagoge?

Das hat mit der Zeit zu tun, und mit einer Schuld, die die Wiener 1938 auf sich geladen haben. Da wurden 40 Synagogen und Bethäuser abgerissen, zerstört. 

In München haben sie wenigstens mitten in der Stadt am Jakobsplatz eine Synagoge gebaut. Beim Wettbewerb dafür habe ich mitgemacht, bin aber durchgefallen. Aber mir ist dabei mit dem Entwurf ein Typus gelungen. 2006 ist mir dann auf einmal die Eingebung gekommen: Wenn das ein Typus war, dann kann er auch woanders, also in Wien stehen. Also warte ich jetzt seit vier Jahren auf den Bürgermeister. Das Projekt müssen ja die Wiener bauen, das Grundstück gehört ohnehin der Stadt Wien. Das ist eine moralische Verpflichtung der Gemeinde Wien: Die Synagoge muss Wien bauen und dann den Juden zur Nutzung übergeben.

 

Kann jeder Architekt eine Kirche bauen?  

Ja, das glaube ich schon. Da muss er sich aber für das ‚nicht vordergründig Funktionale‘ interessieren. Da muss er ins Zentrum der Architektur gehen. 

 

Wie sehen Sie die Rolle Österreichs in der Entwicklung des Kirchenbaues? 

Österreich hat eine große Rolle im europäischen Kirchenbau gespielt: Durch die Steinhof-Kirche von Otto Wagner, durch die Heilig-Geist-Kirche in Ottakring von Plecnik und dann nach dem Weltkrieg auch durch unsere Bauten. Die Kirche war immer ein guter Auftraggeber, 1955 haben wir bei Monsignore Otto Maurer in der Galerie die erste Ausstellung gemacht: ‚Kirchen unserer Zeit‘. Otto Maurer, Pater Muck und Günter Rombold waren Geister, die schon etwas für eine Öffnung im Kirchenbau in Österreich bewirkt haben.

 

Gebäude haben eine Symbolik, auch die einfachsten haben eine Bedeutung. Sie zeigen oder sollten zumindest nach außen zeigen, was sie sind, was ihr Inhalt ist, wozu sie da sind. Wie ist das mit einer Kirche, was soll sie zeigen? 

Das ist - bezogen auf die Aufträge - verschieden. Parsch war ein alter Bau, da sollte ein Bauerngut umgebaut werden. Das ist etwas anderes als ein Neubau wie Steyr-Ennsleiten. Da wurde oberhalb der Steyr-Werke eine Kirche in eine Arbeitersiedlung hineingebaut. Darum ist die ganze Anlage auch sehr streng entwickelt. Das Kollegium St. Josef in Salzburg/Aigen hat viel von einem Kloster - die Kapelle in der Mitte, ein Art Kreuzgang rundherum, von oben alles belichtet, außen die Zellen usw. Wieder eine andere Voraussetzung war bei dem Wettbewerb für die Kirche auf der Wiedner Hauptstraße. Dann kam die Kapelle in Ramingstein - ein ganz normaler Blockbau aus Rundhölzern, danach eine evangelische Holzkirche in Aschheim bei München. Dann der Anbau an die gotische Kirche in Kirchham.

 

Was soll eine Kirche aussagen?

Wenn man an die Voraussetzungen im Bezug auf das Christliche denkt, nämlich dass der Gemeinschaftsgedanke das Wichtige ist, dann kommt die Aussage von innen her. Der Zentralraum spielt eine große Rolle. Bei der jüdischen und auch bei der evangelischen Religion ist das Wort das Zentrale. Bei der katholischen Kirche das Mahl, das ist raumbildend. Beim Islam fällt der Raumgedanke völlig weg.

Ich hätte immer gerne einen Kirchenraum gebaut, bei dem die Abfolge von Wort und Mahl in verschiedenen ‚Räumen‘ möglich gewesen wäre.

 

Sind Gebäude in einem gewissen Sinn auch Götzenbilder, etwas das der Mensch adorieren kann?

Heutzutage ist das teilweise eine entsetzliche Entwicklung durch den Kult dieser Stararchitekten. Es sind immer die Gleichen, und die wollen sich ständig überbieten. Das ist nicht mein Weg. 

 

Es geht also bei der Architektur nicht um den Schein und Machtsymbole, sondern um einen Inhalt um einen Wert? 

Ja, völlig richtig. Der ganze Starkult hat nichts mit Reduktion zu tun, das ist schon bedenklich. 

Ich habe zum Beispiel überhaupt keine Hochachtung vor COOP Himmelb(l)au.

 

Der Postmodernen hat man vorgeworfen, Zitate zu benutzen. Wolf Prix hat in einem Interview zum Dach der Kirche Hainburg Folgendes gesagt: „We used the geometry of a gothic/romanic roof andtransferredit into contemporary language.“ 

Ich halte gar nichts davon. Der Prix klopft immer seine Sprüche. Das Einzige was man ihm zugutehalten kann ist, dass er immer bei seinem (Dekonstruktivismus) geblieben ist. Was man vom Ortner, ehem. Hausrucker & Co, nicht sagen kann (Museumsquartier).

 

Wie wird man unsere Architektur(epoche) in zehn Jahren benennen? Nach der Postmodernen und dem Dekonstruktivismus? Ich schlage „Digitalismus“ vor!

Ich schlage nichts vor!

Schon Carlo Scarpa hat über die Postmodernisten gesagt, sie kämen ihm so vor, als ob sie den Rucksack der Geschichte vorne umgehängt hätten. Diese Strömungen sind alle Zeitverschwendung.

 

Ich denke, dass die Bauten einer Zaha Hadid oder eines der anderen großen Büros nicht mehr im Kopf entstehen können: Sie sind untrennbar mit dem Computer, mit Visualisierungsprogrammen verbunden. Das sind Formen, die man sich im Kopf in ihrer Komplexität nicht mehr vorstellen kann. Nimmt nicht das Technische die Überhand an?

Zaha Hadid ist eine Künstlerin, das was sie macht, muss nicht unbedingt Architektur sein. Aber für mich ist das alles nicht mehr interessant. 

 

Welche Richtungen oder Tendenzen lassen sich in der heutigen Architekturentwicklung feststellen?

Es gibt etliche Architekten in unserer Generation und auch später, die eine andere Haltung als die des Mainstreams gehabt haben. Der Jørn Utzon war ein interessanter Architekt, in Norwegen und Schweden gab es auch einige, die nicht mit dem Strom geschwommen sind. Da könnten sich die ‚Jungen‘ ein Stück abschneiden. Vielleicht kommt das ja wieder. 

 

Liegt das an der Ausbildung?

 Ja, auch zum Teil. Aber vielleicht kommt es wieder zu einer Einfachheit. Das kann schon sein.

 

Jaques Herzog und Pierre de Meuron behaupten in einem Interview, dass in der Architektur jeglicher Halt und Tradition verschwunden seien. Der Architekt müsse dieses Vakuum mit eigenen Ideen und Konzepten füllen. Sehen Sie diesen Traditionsverlust und Werteverlust auch? 

Jaques Herzog und Pierre de Meuron sind gute Architekten. Doch diese Sucht, von Bau zu Bau etwas Unverwechselbares zu schaffen (Elbphilharmonie in Hamburg), ...... da ist mir der Zumthor als Schweizer Architekt schon lieber. Ich bin auch voll einverstanden mit der Staatspreisverleihung an Heinz Tesar. Seine Bauten sind sehr gut und er war nie in die Wiener Intrigantenszene involviert.

 

Was halten Sie von der Rekonstruktion? Wie weit würden Sie gehen, um zu rekonstruieren? Im Gegensatz zum Neubauen? 

Es ist ganz klar, dass es Rekonstruktion geben muss. Wenn ein älterer Bau rekonstruiert werden soll - dann können das auch schlechtere Architekten erledigen. Ein guter Architekt wird interpretieren. Er wird zwischen Altem und Neuem etwas Drittes schaffen (ohne das Alte zu verdrängen).

 

Blicken Sie heute lieber voraus oder zurück? 

Ich halte es mit dem, was mir in Sommerein (Wohnsitz im Burgenland) vor Kurzem ein Laie gesagt hat: „Ohne Geschichte keine Zukunft!“

 

 

Friedrich Kurrent, geboren 1931 in Hintersee bei Salzburg. Architekturstudium bei Clemens Holzmeister an der Akademie der bildenden Künste in Wien, seit 1952 freischaffender Architekt, Assistent bei Konrad Wachsmann und Ernst Plischke, Gründungsmitglied der Österreichischen Gesellschaft für Architektur, Lehrer an der Sommerakademie Salzburg. Von 1973-96 Professor für Entwerfen, Raumgestaltung und Sakralbau an der Technischen Universität München. Mitglied der „Bayerischen Akademie der Schönen Künste“.

William Knaack