Albert Wimmer

Gespräch vom 9.11.2012 

 

Warum sind sie Architekt geworden?

Ich hatte sehr früh Interesse an Materialien, bin sehr sensitiv, haptisch, geruchsmäßig sensibel, handwerklich - ich kann sehr gut nachvollziehen, dass gute Architekten aus dem Handwerk kommen. Das hat mich fast zwangsläufig zur Architektur geführt. Die Alternative wäre für mich die Malerei gewesen. Für mich ist der Gesamtprozess von der Idee bis zur Realisierung wichtig. Ich teile das auch nicht, denn wenn es mir schlecht geht - gehe ich auf eine Baustelle, dann geht es mir wieder besser. Mir ist diese Aura sehr wichtig. 

Ein sehr guter Handwerker ist noch nicht ein guter Architekt: Von da an beginnen wir über Architektur zu sprechen. Wenn die Architektur mehr tut, als eine Show zu bieten - das macht sie gegenwärtig viel zu viel - dann ist sie gut, dann hat sie eine Wirkung. Ein gutes Beispiel ist der ‚Mies von der Rohe-Pavillon‘. Da bin ich auch gleich bei der Richtung, in der ich denke. Das hat mit Klarheit zu tun, mit Materialien, mit Stringenz

 

Ich möchte da ein bisschen einhaken bei dem Begriff der ‚Show‘ den Sie erwähnt haben: Wie sehen Sie die heutige Architektur?

Die Architektur ist immer zu einem Teil auch ein Abbild der Gesellschaft. Es ist unumstritten, dass unsere Gesellschaft sehr ‚verkürzt‘, sehr ‚bildsprachig‘ geworden ist. Die Architektur befindet sich teilweise in diesem Einflussbereich. Sich dagegen zu sträuben ist eine Aufforderung an die ArchitektInnen.

Um ein Beispiel zu nennen, wie ich den Praterstern gemacht habe, habe ich gesagt, ich will Luxus im Alltag. Das war eine gewisse Provokation, weil man ja immer über Sparen der öffentlichen Gelder spricht. Meine Aussage war, wenn ich täglich zur Arbeit gehe und öffentlichen Raum benütze,  dann will ich dort die höchste Qualität sehen. Ich will, dass es mir gut geht, dass es mir besser geht, dass ich mich wohlfühle, nicht nur dass ich mich orientieren kann. Das waren meine Parameter: Architektur muss selbst klar sagen was sie will!

 

Das Wohlfühlen für sich und die Menschen ist Ihnen wichtig?

Absolut. Es ist eindeutig, dass Architektur im Dienste der Menschen steht. Sie ist eine Dienstleistung, aber natürlich nicht ausschließlich. 

 

Das klingt für mich so, als ob Sie einen Prozess ohne Endpunkt beschreiben. Dem würde auch Ihre zweite Leidenschaft, das Malen entsprechen. 

Das ist richtig, weil ich sozusagen Linien, Karrierelinien oder Lebenslinien habe, nach denen ich arbeite. Die sind primär durch Wettbewerbe bestimmt, weil das eine Zutrittsmöglichkeit zu diesem Thema darstellt. Wenn man einen Wettbewerb verliert, ist das zwar sehr schmerzhaft, aber für mich ist es eine Baustein in einer Linie. Es haben sich thematische Linien, die ich dann verdichte, herauskristallisiert. So kann ich immer den Bezug zur Gesellschaft herstellen: Wo befindet sich die Gesellschaft, wo befinde ich mich selbst. Ich evaluiere meine Tätigkeit sehr stark. 

 

Welche Kriterien wenden Sie für Ihre Evaluierung an?

Wenn man in Wien arbeitet, ist man (fast zwangsläufig) im Wohnbau tätig, weil es ein sehr wichtiges Aufgabenfeld ist. Da überlege ich jährlich, wie ich weiter arbeiten soll: Was ist denn die Frage des Wohnbaus?

Ich habe seinerzeit, wie die Partizipationsmodelle gekommen sind, bei Architekt Uhl zu arbeiten begonnen. Uhl hat damals mit Jos Weber (Hamburger Architekt und Stadtplaner) und Bakema (niederländischer Architekt, Teilnehmer der CIAM-Architekturkongresse) zusammengearbeitet, also sehr unterschiedliche Persönlichkeiten. Da hat man schon sehen können, wie wichtig und wie breit das Feld eigentlich ist. Wie viele verschiedene Ansätze es dazu gibt. 

An Hand des Wohnbaubuches, das ich herausgegeben habe, kann man auch eine Evaluierung vornehmen oder ablesen. Da wurden in 20 Projekten die Bewohner interviewt und die Wohnsituationen fotografiert, und das war sehr spannend. 

 

Ich wollte Sie gerade fragen, inwiefern Sie bei dieser Evaluierung Bezug auf die Zeit nehmen.

Eine Siedlung schaue ich mir grundsätzlich erst nach fünf Jahren an, nicht wenn sie fertig geworden ist. Weil dann sehe ich ob die Siedlung eine Erfolg geworden ist, ob sie lebt, vital ist, ob sie angenommen worden ist. Oder ob sie einfach eine Schlafstadt ist. Zeit ist ein ganz entscheidender Faktor. 

 

Beziehen Sie auch die Geschichte - als Zeitlinie - in Ihre Kriterien mit ein?

Selbstverständlich. Das muss man als Architekt. Wer das nicht tut - ist ein guter Handwerker aber kein Architekt. 

 

Das Arbeiten mit der Zeit, als Spur einer Architektur, ist ja auch ein Kriterium der Nachhaltigkeit.

Sie haben vollkommen recht, der Begriff der Nachhaltigkeit ist ja in eine reine ökologische Betrachtung abgeglitten. Im Fachjargon ist man jetzt wieder beim ‚Blue-Building‘, wo man versucht mehrere Faktoren miteinzubeziehen. Man weiß schon, dass Nachhaltigkeit nicht auf bauphysikalische Kennwerte reduziert werden kann. 

 

Ist da nicht eine sehr starke Desinformation, um nicht zu sagen ein Desinteresse mancher Architekten? Sie setzen sich nicht mit der Aktualität auseinander.

Das hat es immer gegeben. Es gab eine Zeit, in der alle Architekten glaubten, Soziologen sein zu müssen. Das war eine eindimensionale Auffassung.

 

Ist das nicht ein Problem unseres Bildungssystems?

In den ersten Semestern wird (auf der TU) ja getrachtet, die Hälfte der Studenten loszuwerden. Das ist eine Zeitverschwendung sondergleichen. 

 

Wo ordnen Sie sich als Architekt geschichtlich ein?

Ich habe ja schon leicht gewisse Leitbilder anklingen lassen. Ich finde das es auf jeden Fall und absolut die Moderne ist, an der man weiter zu arbeiten hat. Je länger man arbeitet und je älter man wird desto reduzierter arbeitet man man zwangsläufig. Sie versuchen einfach all das opulente Gerümpel wegzuräumen. ‚Less is more‘ ist schon richtig, das hat Roland Rainer immer im öffentlichen Raum gepredigt. Die Konzentration auf Raumstimmung und Stimmigkeit setzt eine sehr große Zurücknahme seiner selbst voraus. Das schwierigere ist die Reduktion im Entwurfsprozess als die Opulenz zu gestalten. Modisch darf die Architektur nicht sein. Man sieht sehr gut was mit der Hype der Postmoderne geschehen ist - jetzt ist sie nicht einmal mehr sichtbar.

 

Was sind unsere momentanen Probleme in der Gesellschaft und wie drücken sie sich in der Architektur aus?

Wir haben natürlich Raumordnungsprobleme. Der öffentliche Raum wird in Zukunft ein großes Thema, das Thema wohnen brennt bereits weil Wohnen teurer wird. Es muss aber gewährleistet sein, denn sonst wird es ein gesellschaftliches Problem. Wohnerziehung - weil wir vorher über Bildung gesprochen haben - ist ein wesentliches Thema. Wenn sie sich mit den ganzen Kommunikationsproblemen, mit der Vernetzung auseinandersetzen - dann entstehen daraus eigentlich die Architekturthemen. Wie ich das Stadion gebaut habe, habe ich es immer als Marktplatz bezeichnet. Ich habe das einfach etwas anders gelesen, aus einer geschichtlichen und auch aus einer gesellschaftlichen Betrachtung heraus. 

Alle meine Projekte haben einen stark urbanistischen Ansatz. 

 

Wie zeigt sich der momentane Werteverlust unserer Gesellschaft in der Architektur? Was kann die Architektur tun, um dem entgegen zu wirken?

Die Architektur kann Konditionen schaffen, aber sie kann ‚per se‘ nicht Werte schaffen. Sie ist Mitträger. Ich spreche gerne über Konzepte und ein Konzept ist schon das Umsetzen eines Wertes.

 

Von welchem städtebaulichen Ansatz sind Sie beim Krankenhaus Nord ausgegangen?

Ein Gedanke ist, dass wenn ein Impuls dieser Größenordnung in eine Region (Brünnerstrasse) kommt, dann soll es ein Impuls sein, der - wie wir es später bezeichnet haben - das ‚Health Quarter‘ für das ganze Areal ist. Die Brünnerstraße soll sich nicht nach außen verlieren ins Nichts, sie soll mit dem Floridsdorfer Spitz wieder zusammenwachsen. 

Ein zweiter Gedanke war: Krankenhaus ist ein Ort, wo man lieber nicht hingeht. Deshalb wollte ich ein Vorfeld das Angst abbaut, Barrieren abbaut. Ich habe einen großen Platz, der von zwei Gebäuden gerahmt ist, geschaffen. Das ist ein Ort der Begegnung, ein Ort an dem sie noch gar nichts mit einem Krankenhaus zu tun haben. Da wird es Kioske, eine Ladenpassage, Cafeterias geben. 

Damit leistet das Krankenhaus einen Beitrag zur Stadt, sowie die Stadt einen Beitrag zum Krankenhaus leistet. Das war der erste Ansatz, und der zweite Ansatz war, dass alle Kriterien des Städtebaus wie Wege, Orientierungen, Ruhe und Stille müssen sich im Gesamtkonzept wiederfinden. 

 

Gibt es einen eindeutigen Trend im Krankenhausbau? 

Es hat immer Trends und Prototypen gegeben. Das eine war das Pavillonspital, wo man den Nachteil der weiteren Wege in Kauf nehmen muss, oder man zentralisiert, ökonomisiert in Richtung einer Box. Ich habe versucht, mich zwischen diesen beiden Modulen zu bewegen. Beide haben Argumente für sich. Ich habe einen Sockel, ein Podium geschaffen, darüber ein Leergeschoss und darüber sitzen die Bettentrakte. Dazu den Park und den ‚Healing Garden‘, ich wollte dass wenn man aus dem Fenster schaut bereits der Erfolg des ‚angenehm seins‘ vorhanden ist. Es ist auch psychologisch bewiesen, dass das die Heilung fördert. Der Titel des ‚Wohlfühlspitals‘ besteht ja nicht aus einer großen Geste sondern aus einer Summe von kleinen aber sehr wesentlichen Punkten und Aspekten. 

 

400 bis 500 Betten, sagen Gesundheitsökonome seien im Allgemeinen eine kritische Größe. Ab dann wird es wirklich schwierig, ein Spital effizient zu führen. Nun wird das KH Nord 800 Betten haben.

Es gibt sehr viele Parameter die festlegen was wirtschaftlich ist. Man muss aber auch berücksichtigen, wie man das Umfeld der niedergelassenen Ärzte in das System einbeziehen kann. Tageskliniken werden in Zukunft extrem zunehmen. Man kann nicht mehr Bett mit Bett vergleichen, das war für mich ein wesentlicher Lernprozess.  Von den Fächern die betreut werden sind die Bettenzahlen abhängig. Eine Lungenabteilung bedingt eine große Zahl Intensivbetten und eine Orthopädie bedingt einen großen Apparat der Nachbetreuung der Mobilisation. Der Altersschnitt der Spitalspatienten geht extrem nach oben. Die Bettenanzahl ist eine wirtschaftliche Nullaussage. Von Bettenzahlen auf Kosten zu schließen - das ist eine zu einfache Rechnung. 

Ein Modell, das in Wien richtig verfolgt wird ist, dass man sechs oder sieben Schwerpunkte hat uns sch jedes Spital für eine bestimmte Richtung besonders herauskristallisiert, aber mit den anderen in Partnerschaft steht.

 

Diese Schwerpunktspitäler werden jetzt eigentlich aufgelöst und in das KH Nord hineingenommen?

Das KH Nord arbeitet zum Beispiel mit dem SMZ Ost zusammen, beide sind Schwerpunktspitäler mit unterschiedlichen Schwerpunkten. 

 

Kritiker (die es immer gibt) sagen, dass im Zusammenhang mit dem KH Nord die stillgelegten anderen Kliniken verramscht würden: Die Semmelweis-Klinik an Chinesen, das Otto-Wagner-Spital, ein Gesamtkunstwerk und Jugendstiljuwel, verschachert die Gem. Wien an globale Finanzinvestoren VAMED und die gemeindeeigene Gesiba, Gersthof an reiche Russen usw. 

Diese Vorwürfe kenne ich schon vom Hauptbahnhof her. Hier war es ganz klar, dass der Frachtenbahnhof von der ÖBB verkauft wird, um durch den Grundstückserlös Geld für den Bau zu bekommen. 

Wenn ich mir die alten Pavillonspitalsbauten anschaue, wo man 80-Jährige im Winter von einem Pavillon zum anderen schickt - dieses System ist nicht mehr menschenwürdig, davon muss man sich mit gutem Gewissen verabschieden. Und wenn die Bauten denkmalgeschützt sind, dann muss ich eben eine vernünftige Nachnutzung finden oder verkaufen. 

 

Im Februar dieses Jahres 2008  hieß es seitens Finanzstadträtin Renate Brauner noch, das neue Krankenhaus werde 605 Millionen Euro kosten. Heute spricht man von 825 Mio. Wo wird das hingehen?

Es sind 825 Mio. Seit wir den Wettbewerb gemacht haben ist das die Zahl. Man muss aber auch sagen, was in den 825 Mio alles enthalten ist. Ich habe dem Bauherrn gesagt, um ein Projekt dieser Größenordnung abwickeln zu können, brauchen wir eine Kostengenauigkeit. Ich habe gesagt, dass wir das Projekt auf 5% Genauigkeit berechnen werden. Und wir haben es auf weniger als 2% gebracht. Eine Gruppe von 15 Fachleuten hat ein dreiviertel Jahr alles in Einzelteile zerlegt und genau mit aktuellen Preisen berechnet - das hat gehalten. Die 825 Mio sind ein ‚all inclusive‘ Wert. Auch der Betriebskindergarten der bei 2000 Angestellten notwendig ist, ist inkludiert.

 

Wie sieht die Verkehrsanbindung des KH Nord aus? Es hat keinen U-Bahnanschluss.

Es ist richtig, dass die Brünnerstraße keine U-Bahnstation hat.

 

Wie kann die Gemeinde Wien ein derartiges Riesenprojekt ohne öffentliche Anbindung planen?

Die S-Bahn ist in Wien dramatisch unterbewertet, sie ist ein hervorragendes Verkehrsmittel, wenn man sie taktmäßig etwas intensivieren würde. Die Verbesserung der Schnellbahn ist eines der nächsten Projekte in Wien. Die Gleise sind vorhanden und die Verbindung in die Brünnerstraße wird intensiviert. Ein Vorteil der S-Bahn ist ja auch, dass sie die Regionen erreicht, was wiederum der Anbindung des KH Nord zu Gute kommt. 

Den Luxus den wir bei Aspern haben, dass wir zuerst eine U-Bahnlinie hinbauen und dann eine Stadt dazubauen - den werden wir uns nicht so oft leisten können. 

 

Wie gehen Sie als Architekt mit der Öffentlichkeit um, mit Kritik?

Das kann ich ganz einfach beantworten, da bin ich zu sehr anglikanisch geschult: Karten offen auf den Tisch legen. Nicht nur informieren, sondern sich auseinandersetzen.

 

 

 

William Knaack