AZW 2014

Mit Ecken und Kanten

Wanderausstellung im AZW (bis 3. März 2014)

In Polen, bezeichnet man die seit 1898 entstandenen Zeichen des sogenannten ‚Kapitalismusbarock‘ mit Türmchen, Sphinxen und Alabasterbalustraden im Zuckerbäckerstil ironisch-liebevoll mit dem Namen Gargamel, das ist der Zauberer aus der Trickfilmserie ‚Die Schlümpfe‘. Die in der Ausstellung im AZW - ‚Zum Beispiel. Das neue polnische Haus‘ - gezeigten Einfamilienhäuser, sind hingegen Beispiel eines Wandels in der Baukultur eines Landes.

Die Schau im AZW (bis 3. März 2014) ist eine Wanderausstellung, die durch Europa tourt. Je ein großes Schwarz-Weiß-Foto zeigt die neun ausgewählten Objekte der Begierde, ein Text in deutsch und englisch erläutert sie kurz. Beachtenswert ist die Qualität des jeweiligen Architekturfotos - sie stammen von Juliusz Sokołowski, einem der besten polnischen Architekturfotografen. Man spürt das trostlose Grau der Gedanken, die die vielen Jahre des Kommunismus und Sozialismus hervorgerufen haben. Aber in den Formen der neun Architekturen manifestiert sich auch ein Wille zum Aufbruch in die heutige Zeit, in den Westen vor allem. Die Aspekte der Häuser sind verschieden, genauso wie die jeweiligen Herangehensweisen der Architekten und ihrer Bauherrn. Künstler werden mit ihren Wohnwünschen genauso gezeigt, wie eine wiederbewohnte Bergwerksarchitektur auf acht Meter hohen Stützen und einem Badezimmer, angesichts des Förderturmes aus der schlesischen Kohlenbergbauära, sowie ein dachbegrünter Kubus aus Ziegel. An diesen Beispielen lässt sich die Entwicklung der polnischen Architekturszene in den letzten Jahren ablesen: Elemente der klassischen Moderne in Verbindung mit durchaus selbstbewusst inszenierten Anleihen an traditionelle Formen der bodenständigen Architektur. Und mit viel Geld wird ein Luxus und ein Statusdenken inszeniert, das die Jahre des Nachholbedarfs der ehemaligen ‚Ostländer‘ gegenüber dem ‚Westen‘ zum Ausdruck bringt. Man bekommt beim Betrachten der Häuser das Gefühl, dass in Polen endlich - 25 Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhangs - Architektur nach freiem Ermessen und nach den Maßstäben von Sinnhaftigkeit und innerer Intelligenz entworfen und gebaut wird. Dass die Bauten Anleihen aller Art, von den sogenannten sozialistischen Würfelhäusern über Vorarlberger Holzbauten bis zu Minimalismusbeispielen à la Japan nehmen - tut ihrer Qualität keinen Abbruch. Wir leben eben in einer globalisierten Welt. Auffällt an allen Bauten, dass keine styroporgedämmten Fassaden mit Fertigputz zu sehen sind. Es dominieren Ziegel und Holz als Verkleidung. Man darf nur hoffen, dass nachhaltiges Gedankengut, wie Umweltschutz, CO2 Fußabdruck und Effizienz nicht auch erst 30 Jahre später in dieser Architekturauffassung seinen Niederschlag finden wird.
Ein in der Ausstellung nicht gezeigtes Beispiel von durchaus ‚gelungener‘ polnischer Einfamilienhausarchitektur findet sich in der Nähe des Zentrums der polnischen Stadt Krakau. Dort ist letztes Jahr ein Gebäude, entworfen von Mobius Architekci und deren Primas, Architekt Przemek Olczyk fertiggestellt worden. Ein ehemaliger, ca. acht Meter hoher, aufgelassener Sandsteinbruch bildet eine natürliche Geländestufe, die der Architekt bei seinem Entwurf geschickt ausgenützt hat. Er bestimmt den Charakter des Grundstückes und bereichert es noch zusätzlich durch einen - von der oberen Ebene aus genießbaren - Panoramaausblick über die die Stadt umgebenden Hügelketten. Das Grundstück teilt sich eigentlich in drei verschiedene Bereiche oder Ebenen: die grünen Terrassen, die durch die Anordnung und Proportionen der Baukörper entstanden sind, die beiden ‚Arme‘, die das Ganze umfassen und den Parzellenteil mit dem Erdgeschoss des Hauses sowie die Parzelle unterhalb der Steilstufe des Steinbruches, in der sich der Rest des Gartens befindet. Auf der für den Bau nutzbaren Fläche des Areals waren sehr strikte Bauvorschriften zu berücksichtigen. Sie bestimmten im Wesentlichen die Ästhetik und die Parameter des Neubaus: Eine minimale erlaubte Dachhöhe, eine Neigung von exakt 37 Grad und genau vorgeschriebene Traufhöhen waren sowohl Hürden und Hindernisse als auch Herausforderung und Inspiration in der Phase der Entwurfsgestaltung. 
Architekt Przemek Olczyk entwarf ein dreigeschossiges Einfamilienhaus mit einer verbauten Fläche von 860 m2. Die Architektur sollte - so der Wunsch des privaten Auftraggebers - modern sein aber trotzdem nicht die Verbindung zu den traditionellen Formen der Architektur leugnen. Sozusagen ein Hybrid aus Bodenständigem mit einem modernen, zeitlosem ‚Touch‘, aber immer in Übereinstimmung mit den Baugesetzen. Der Kontext war auch eines der wichtigsten Kriterien des Entwurfes. Und so verwurzelt sich der Körper quasi im Boden, klammert sich an den Abhang des Steinbruches. Er ragt über den Grund mit seiner steinfarbenen, grauen, einfachen Dachform. Durchbohrt und durchbrochen wird das Dach von linearen, weißen Elementen. Ebenso weiße, leicht geschwungene Begrenzungsmauern umarmen den ebenen Teil des Grundstückes und begrenzen so den verbleibenden Teil der Gebäudekubatur. Sie schaffen zahllose Terrassen und halb offene Innenbereiche, bevor sie sich schließlich mit der steinernen Klippe verbinden. Um den, für drei Geschosse notwendigen Höhenunterschied im Gelände zu erzielen, wurde die Klippe gartenseitig - mit quaderförmigen Bruchsteinen aus demselben Material - wie eine Kyklopenmauer noch erhöht. Die den Gartenbereich umfassenden, geschwungenen Mauern sind an ihrem oberen Ende mit einem ca. 80 cm hohen weißen Band gefasst. Dieses Element läuft in die Architektur des Hauskörpers hinein und findet sich als Abgrenzung und Umrahmung, einer fast über die ganze Haus/Dachlänge laufenden Terrasse wieder. Diese halb offene Hausfläche kragt weit über die Steinklippe hinaus und ist komplett in Weiß (außen wie auch innen) gehalten und von einer schrägen, der Dachneigung folgenden, Glasbalustrade begrenzt. Ihre Aussage und Dynamik wird durch eine aggressive Dreiecksform bestimmt und durch die somit entstehenden Ecken und Kanten (die dem Bau auch den Namen gaben). Dieses Element steht in einem starken Kontrast zu den weichen, geschwungen Linien der Freiraumgestaltung. Auf der Garagenseite formen die Umgrenzungen einen geschlossenen Raum für den Eingangsbereich, von der anderen Seite umrahmen sie den Swimmingpool mit dem SPA Bereich. Dieser öffnet sich dann zum Garten hin. Die beiden eben erwähnten Elemente bestimmen wesentlich die Funktion des Hauses: Sie treffen sich in einem 18 Meter langen, fußläufig benutzbaren Übergang, der die halb offene Atriumterrasse überdeckt. Das Konzept der Architektur beruht auf dieser Verbindung, d. h. einer möglichst optimalen Integration von Wohnraum mit der Natur. Diese Maßnahmen verleihen dem ‚Edge House‘ eine Multidimensionalität: Die Struktur schafft zusammen mit dem Innenraum eine Vielzahl von intimen und halböffentlichen Bereichen, die die Diversität der Wohnräume im Haus erweitert. Als Materialien wurde Stein, Holz und Kupfermetall in den Farben grau und grün verwendet, Holzfenster mit großen, ungeteilten Glasflächen verstärken den modernen Eindruck. Das Gebäude wurde mit einem Lüftungssystem, Klimaanlage und Gebäudeautomatisation versehen.

William Knaack