Manfred Wehdorn

Architektur, Fliesen und Denkmalschutz

 

Im Atelier von ‚Wehdorn Architekten‘ in Wien, einem ursprünglich barocken Handwerkerhaus, das trotz 32 Grad Außentemperatur angenehme 22 Grad Innenraumtemperatur - ohne Klimaanlage - bot, unterhielt sich Peter Reischer mit dem österreichischen Grand-sei-g-neur der Denkmalpflege, mit Architekt Manfred Wehdorn über Architektur und Fliesen und deren Behandlung bei architektonischen Restaurierungsaufgaben.

 

Herr Architekt Wehdorn, wie sind Sie zur Denkmalpflege gekommen?

Ich komme noch aus den 70er Jahren. Damals war einer der Tiefstpunkte der Architektur. Es gab nur wenige Ausnahmen, Roland Rainer zum Beispiel.

Die Materialkenntnis war damals - durch die Bank - eher gering. Bauphysik hat es auch nicht gegeben. Trotzdem sind damals bessere Resultate entstanden, als nachher. Das war die Zeit der Direktvergabe von Bauaufgaben, und der Architekt hat meistens das gemacht, was der Bauherr wollte. Und das muss nicht immer das Beste sein, wie wir wissen. Auf der anderen Seite gab es damals auch den Bauboom. Das wollte ich nicht und deshalb bin ich zur Denkmalpflege gegangen.

 

Und wie sehen Sie die heutige Architektur?

Heute entsteht teilweise ‚Tolles‘. Aber der Architekt wird - mit ganz wenigen Ausnahmen - immer mehr zum Werkzeug des Developers. Nur bei den Prestigebauten des Staates, bei der WU zum Beispiel - da dürfen sie sich die Architekten dann entfalten.

 

Sie haben als Architekt, der sich sozusagen der Denkmalpflege und Restaurierung, dem Bauen im Bestand verschrieben hat, sehr viel mit alter Bausubstanz zu tun. Da bewegen Sie sich eigentlich immer in der Vergangenheit. Wie sehen Sie da Ihre Verbindung mit der Zukunft?

Unser Büro befasst sich sehr wohl auch mit Neubauten, wenn sie sich zum Beispiel den Zubau und den Turnsaal des Benediktinerstiftes Melk anschauen, oder das Stift Admont - da haben wir einen gläsernen Stiegenhausturm, wie eine Skulptur errichtet. 

 

Was halten Sie von der neuen Publikation, die Dr. Bernd Euler-Rolle koordiniert hat: ‚Standards der Baudenkmalpflege‘. Kann man die Denkmalpflege standardisieren?

Das ist ein vollkommener Unfug. Jedes Bauwerk ist eine Persönlichkeit. Ich vergleich das immer mit dem Menschen. Standards braucht das Denkmalamt, damit es sozusagen, Richtlinien hat. Damit bei der Nichtbewilligung eine Ausrede, eine Erklärung da ist.

 

Erübrigt sich damit die Funktion des Denkmalamtes?

Gäbe es eine derartige Stelle nicht, würden die Developer (mit wenigen Ausnahmen) alles niederreißen, um daraus Geld zu machen.

 

Wie sehen Sie diesen - fast - Automatismus, mit dem manchmal Kirchen oder mehr als 100 Jahre alte Bauten unter Denkmalschutz gestellt werden? 

Das ist genauso ein Unfug. Es gab in der Barockzeit sowohl gute wie auch schlechte Architektur und Architekten. Was gut ist, entscheiden aber sicher nicht die Architekturkritiker.

 

Wie oft oder wo haben Sie bei Ihren Projekten mit Fliesen zu tun?

Eine meiner ersten selbstständigen Aufgaben war die Adaptierung der Vorortstation Ottakring. Ich habe durch irgendeinen Zufall gleich einmal einen ‚Otto Wagner‘ als Projekt bekommen. Eines der großen Probleme war, dass die Fliesen am Perron alle kaputt waren. Das waren Feinsteinzeugfliesen.

Was macht man in so einem Fall normalerweise in der Denkmalpflege? Bei uns steht die Originalsubstanz an erste Stelle. Bei einem mehrgeschossigen Gründerzeitbau sammle ich die Originalfliesen zusammen und verlege die Originalfliesen in den unteren Ebenen des Gebäudes neu. In den oberen Ebenen habe ich kein Problem, etwas Zeitgemäßes zu verwenden. 

 

Versuchen Sie eine optische und ästhetische Angleichung? 

Selbstverständlich! Bei der Otto Wagner Station habe ich keine Sekunde gezögert oder daran gezweifelt, die Fliesen nachmachen zu lassen.

30 Jahre später, bei der Lueger-Kirche am Zentralfriedhof kam wieder ein Riesenprojekt auf uns zu. Hier waren sowohl in der Hauptkirche wie auch in der Unterkirche industrielle Fliesen (die Kirche ist ja erst 1911 erbaut worden) verlegt. Sie waren eher reich im Dekor. Da habe ich entschieden, die Fliesen auszulösen und zu sammeln und die fehlenden nachzumachen. Damals habe ich in der Produktion zum ersten Mal gesehen, wie solche Fliesen hergestellt werden: alles händisch. Und dafür, dass das alles, wie in einer Manufaktur noch immer händisch hergestellt wird, sind diese Fliesen eigentlich sehr preisgünstig.

 

Sind Fliesen - Ihrer Meinung nach - ein nachhaltiges Produkt?

Die Fliesen bei der Ottakringer Station wurden vor 40 Jahren produziert und verlegt, es sind wahrscheinlich bis jetzt Hunderttausende von Menschen darübergegangen - wenn das nicht nachhaltig ist?

Wenn sie richtig verlegt werden, halten sie vermutlich ‚ewig‘.

In den 90er Jahren habe ich die erste unterirdische Toilettenanlage am Graben saniert. Dabei haben wir französische Fliesen verwendet. Wenn man sich das heute anschaut. Da ist alles noch vorhanden und perfekt.

 

Wo kann es bei der Fliese - im Bezug zur Denkmalpflege - Schwierigkeiten geben?

Ich arbeite gerade im Schloss Kallwang in der Steiermark, aber auch beim Palais Lichtenstein in Wien hatten wir diesen Fall: Die historische Wandfliese wurde im Gegensatz zur Bodenfliese - bis in die Nachkriegsjahre - ‚knirsch‘ verlegt, ohne Fuge. Die Fliesenleger haben die Platten exakt auf das Maß geschliffen, damit das möglich war.

Die Fliesennorm verhindert indirekt die ‚Knirsch‘-Verlegung der Fliesen. Die Fuge ist ja genau definiert. Wenn ich die ‚Knirsch‘-Verlegung verlange - und das tue ich - bekomme ich sofort vom Fliesenleger den Hinweis, dass er die Haftung nicht übernehmen kann. 

Natürlich kann ich diese Verlegungsart nicht auf Leichtbauplatten vornehmen, aber wenn ich auf einer ordentlichen Wand, mit einer entsprechend maßhaltigen Fliese die Verlegung sachgemäß vornehme - kann ich jeden wunderschönen Verband ohne Fuge ausführen. Mit ‚null‘ Risiko, aber mit einem tollen Erscheinungsbild von - zum Beispiel - versetzten, senkrechten Fugen. Im historischen Bereich gab es nie eine Wandfuge.

 

Bei einem denkmalgeschützten Bau, verlegen Sie dann Wandfliesen bei Restaurierungen ‚knirsch‘?

Ja!

 

Und der Denkmalschutz nimmt Abstand von der Fliesenlegernorm?

Nein, das Denkmalamt ist fast nie der Bauherr, es überprüft nur, da hat dann der Architekt oder der Bauherr das Risiko. Auf unserer Welt wird eben zu viel reguliert und auf der anderen Seite fehlt die Zivilcourage. Ich muss in so einem Fall die Verantwortung übernehmen und das tue ich auch.

 

Architekt Manfred Wehdorn

Geboren 1942 in Wien, verheiratet, zwei Töchter. Studium der Architektur an der Technischen Universität Wien (1960–69), Ernennung zum Univ. Prof. (1988), Vorstand des Institutes für Kunstgeschichte, Bauforschung und Denkmalpflege der Technischen Universität Wien (1998); Senator der Technischen Universität Wien (seit 2001).

 

William Knaack